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Die Runenmeisterin

Die Runenmeisterin

Titel: Die Runenmeisterin
Autoren: Claudia Groß
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und las. Das Wetter war milder geworden. Von Westen war ein lauer Wind gekommen und brachte den Frühling zurück. Maria schloß die Augen und genoß die ersten warmen Sonnenstrahlen des Jahres.
    Sie und Berthold hatten vor einer Woche in Lüneburg geheiratet, und sie hatte ihre erste Nacht bei einem Mann gelegen. Seine Sanftmütigkeit erstaunte sie noch immer. Sie sehnte sich nach Liebe, nach Wärme und Geborgenheit. War das Liebe, was sie ihm entgegenbrachte? Wenn es nicht Liebe war, was war es dann? Sie freute sich auf ihn, sie sah ihn gerne an, und sie mochte es, wenn er sie berührte. Er hatte mit ihr zusammen gelesen, aber war das Liebe? Sie hatte ihre Stiefmutter gefragt, aber die hatte sie nur verblüfft angestarrt.
    »Wenn er gut zu dir ist, mein Täubchen, dann liebe ihn. Ist er gut zu dir?«
    »O ja, er ist sanft wie ein Lamm.«
    Die Sonne wanderte aus dem ummauerten Garten, ein kühler Wind zog auf. Maria öffnete die Augen. Sie hörte Pferde in den Hof einreiten, sprang auf und lief hinaus. Berthold war gekommen. Er küßte lächelnd ihre Fingerspitzen, zog ein Buch aus einer der Satteltaschen.
    »Wir waren in der Stadt. Das hier habe ich einem Händler abgekauft.«
    Maria sah auf das vergilbte, abgegriffene Pergament hinunter, das in seiner Hand lag. Es war ein Evangeliar, mit reichgeschmücktem Einband.
    »Wir werden es zusammen lesen«, sagte Berthold.
    Maria nickte stumm. Was für ein wertvolles Geschenk! Sie barg das Buch in ihrem Umhang und trug es in ihre Kammer.
    Dunst hing über der Heide an einem kühlen, frühen Morgen im März. Der erste Vogel begann zu schwatzen und verstummte wieder. In den Ästen schimmerten Spinnennetze, die voller Tau hingen wie Tropfen aus schwerem Silber. Das dumpfe Knarren des Tores unterbrach die Stille – ein Reiter auf seinem Pferd verließ die Burg und nahm den Pfad am Saum des Waldes entlang in Richtung Süden. Seine Satteltaschen waren prall gefüllt und sein Pferd edel und ausgeruht.
    Er ritt im Schritt, müde noch. Bis zur Straße nach Lüneburg war es noch eine gute Stunde, aber er hatte Zeit. Er würde bei dem Tempo erst in einigen Tagen in Köln ankommen, aber weshalb sollte er sich eilen? Sein wertvollstes Gut lag sicher in einer der Satteltaschen und konnte warten.
    Eine große Eule saß hoch oben auf dem Ast einer knorrigen Eiche und beobachtete ihn aus schläfrigen, gelben Augen. Sie breitete die Flügel aus und strich lautlos über ihn hin. Er sah ihr nach, wie sie am heller werdenden Horizont verschwand.
    Jetzt war der ganze Wald erfüllt von Vogelgesang. Der Reiter hatte die Hände locker über die Zügel gelegt und passierte einen heruntergetretenen Wildwechsel. Er sah den Schatten nicht, der sich plötzlich aus dem Unterholz des Waldes hervorschob.
    Als er eine Stimme leise seinen Namen rufen hörte, zügelte er sein Pferd und sah sich um. Aber da war nichts außer den Bäumen und Sträuchern, und er glaubte, er habe sich geirrt. Er wandte den Kopf wieder nach vorn, als er ein Zischen hörte, das durch die Luft fuhr. Doch er hatte nicht einmal Zeit, sich erneut herumzudrehen, da traf ihn schon der Pfeil einer Armbrust in den Rücken. Der Reiter fiel von seinem Pferd, das verschreckt zur Seite sprang.
    Aus dem Dickicht des Unterholzes näherte sich eine bis zur Unkenntlichkeit vermummte Gestalt und faßte das Pferd am Zügel. Und während dem Reiter, der gekrümmt auf der Erde lag, das Blut in die Lungen stieg, die Kehle hinauf bis in den Mund, wurde das noch immer nervöse Pferd ein Stück zur Seite geführt, und die vermummte Gestalt öffnete die Satteltaschen.
    »Ruhig, ruhig«, murmelte sie, fand, was sie gesucht hatte, und gab dem Tier dann einen Schlag auf die Hinterbacken, daß es davonrannte.
    Am späteren Morgen war Maria ausgeritten. Sie ritt nie weiter als bis zum Saum des Waldes, von wo aus sie die Mauern der Burg noch sehen konnte. Hier standen die letzten Wacholder der Heide, und die Kiefern streckten ihre Wurzeln in den mageren Boden. Weiter hinten begann der Sumpf, in den sich niemand wagte, es sei denn, man war hier geboren und aufgewachsen. Maria wendete das kleine Pferd und ließ es im Schritt zurücktrotten. Ein Hase tauchte aus dem Unterholz des Waldes auf und rannte davon. Eine wilde Ranunkel blühte mitten auf der Heide, und ihr Zitronengelb vermischte sich mit dem dunklen Purpur des Feldkümmels, der erst im Sommer seinen würzigen Geruch verströmt. Er wuchs in kleinen Gruppen und zog sich bis zum Unterholz hin. Maria ließ
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