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Die Runenmeisterin

Die Runenmeisterin

Titel: Die Runenmeisterin
Autoren: Claudia Groß
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Bösewichten.‹
    Mara war fort. Und Rosalie stand allein vor diesem Galgen, an dem ein Mörder baumelte. Er hing vollkommen reglos da wie ein Senkblei. Der Fackelschein huschte über seinen Körper, sein Kopf war auf die Brust gesunken. Der Verwesungsgeruch begann sich schon auszubreiten.
    »Oft kommt heilsamer Rat aus hartem Balg,
der bei Häuten hängt
und bei Fellen flattert
und baumelt bei Bösewichten.«
    Sie kannte den Gehenkten. Lange, verfilzte, blonde Strähnen, ein verblichenes farbloses Wams, ein freches Grinsen. Und eine Fiedel. Es war der Fiedler aus dem Gasthaus ›Zum wilden Eber‹. Baumelte da vor ihren Augen wie der verlorene Faden, den sie gesucht hatte.
    Früher war sich Rat bei den zu Toten suchen nichts ungewöhnliches gewesen. Aber daß die Toten sich schon vor ihrem Ableben als Ratgeber anboten, war eine zynische, verflucht unheilige Fügung. Wer war dieser liederliche Musiker gewesen? Wen hatte er umgebracht? Ihr lief es eiskalt den Rücken herunter, zitternde Schauder des Schreckens und des Grauens waren das.
    Wind kam auf. Der Tote schaukelte leicht an seinem Seil. Rosalie stieg von ihrem Pferd und setzte sich auf die staubige Erde. Sie saß lange so da, während das Pferd neben ihr graste und der Tote im Schein der Fackel an seinem Seil schaukelte. Es war ihr, als würde Sigrun zu ihr sprechen, und doch vernahm sie kein Wort. Sie dachte an den Traum, den sie gehabt hatte, und an die Rune Not, und dann fügte sich plötzlich eins zum anderen.
    Gewiß, ein Christ hätte es nicht verstanden, denn die Zeichen seines Gottes waren andere. Aber für sie war es klar: Da war die Unke im Traum gewesen, die in einen leeren Brunnen gesprungen war, das Zeichen größten Unglücks. Ein voller Brunnen war die Reichhaltigkeit des Lebens und die Unke ein böser Schatten. Ein leerer Brunnen aber war an sich schon ausgedörrtes, verkehrtes Leben, und die Unke paßte so gut hinein wie der eine Schuh zum andern. Und auch die Rune Not hatte nur Unglück vorhergesagt.
    »Wenn sich innerhalb eines Jahres dreimal immer das gleiche Zeichen in Wort oder Ding wiederholt, dann sieh zu, daß du das, was nötig ist, ungeschehen machst.«
    Der Spruch in ihrem Traum war ein Rat der Rune Not gewesen. Jetzt erinnerte sie sich daran. Der Galgen war das Zeichen, der Galgen und der Gehenkte. Der Gehenkte in Lüneburg, der Spruch des Fiedlers im Gasthaus, und nun, zum letzten Mal, hier vor ihren Augen der dritte Galgen und der dritte Gehenkte. Aber Rosalie zögerte. Ungeschehen machen konnte sie nichts. Sie konnte nur hier sitzen und warten. Nichts tun, so wie es die Rune Not von ihr gefordert hatte.
    Mehr Wind kam auf. Schaukelte den Toten hin und her, als wäre er ein Kind in einer Wiege. Verkehrte Welt. Irgendwo in der dunklen Ferne knarrte ein Wagen. Und dann hörte sie Hufe auf der trocknen harten Erde. Ein Reiter kam in den Lichtschein des Feuers und blieb stehen. Es war einer von Van Neils Soldaten. Er warf einen kurzen Blick auf den Fiedler und nickte Rosalie, die er erkannt hatte, zu.
    »Was ist?« rief sie. »Kommst du aus Raupach?«
    Er nickte wieder. »Der Herr … es geht mit ihm zu Ende.« Er wendete sein Pferd und galoppierte zurück ins Lager.
    Berthold! Jemand war in ihrem Garten gewesen, und Berthold würde sterben. Rosalie stand langsam auf. War es das, was sie ungeschehen machen sollte? Die Frauen würden den Iren nicht am Leben lassen, soviel war klar.
    Sie rief ihr Pferd und stieg auf. Und dann hetzte sie über das Feld zum Lager zurück. Weiter, durch den Sumpf hindurch, bis in die Heide zum alten Bergwerk. Sie sprang vom Pferd und löste den Riegel, betrat den Stollen, in dem der Ire immer noch lag und schlief. Atemlos sammelte sie die Seilfetzen auf und warf sie fort. Dann schüttete sie dem Schlafenden Wasser über den Kopf. Er murmelte schläfrig, drehte sich auf die andere Seite und schlief weiter. Sie schüttelte ihn an der Schulter. »Wach auf, Cai, wach auf!«
    Sie bettelte und flehte, schrie und flüsterte. Das Grauen ließ sie nicht mehr los. Der Ire kam langsam zu sich. Er schlug die Augen auf. Verschleierter Blick, verständnislos, bleiern, schlafmohngetränkt.
    »Du mußt aufstehen«, flehte Rosalie und versuchte, ihn an den Armen nach oben zu ziehen. Er taumelte gegen die Stollenwand, blieb stehen und drohte, wieder einzuschlafen. Sie holte wieder Wasser und setzte ihm den Krug an die Lippen. Er trank langsam und sah sie an aus diesen verschleierten Augen, deren Lider sich schon wieder
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