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Die Rueckkehr der Phaetonen

Titel: Die Rueckkehr der Phaetonen
Autoren: Georgi Martynow
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Schützengräben — der Tag verspricht, richtig heiß zu werden.
    Vor ihm liegt ein kleiner mit Schilf und Riedgras bewachsener Sumpf. Über ihm schwimmt der Nachtnebel wie Wattefetzen in der Luft.
    Wäre da nicht der Krieg, würde es ein ganz gewöhnlicher Morgen eines Sommertages sein, voller Schönheit und betörend frischer Luft.
    Wie ein Aschestrich über dem zarten Aquarell erscheint dort, auf der Seite des Feindes, hinter dem ehemaligen Birkenhain, eine menschliche Gestalt in graugrüner Uniform. Sie schleicht langsam dahin, versucht, nicht den Kopf über den Rand eines flachen Schützengrabens zu heben. Dieser Mensch weiß: Die um ihn herum herrschende Stille, die friedliche Ruhe der erwachenden Natur ist trügerisch. Diese Natur gehört weder ihm, noch den anderen, die wie er graugrüne oder schwarze Uniformen tragen. Diese Natur ist nicht seine, und genau den Menschen, die Herren über diese Natur sind, versucht er, nicht unter die Augen zu kommen.
    Aber man sieht ihn dennoch.
    Der aufmerksame Blick eines Scharfschützen durch die Fernglaslinsen fixiert ein seit langem nicht gewaschenes und mit grauen Stoppeln bedecktes Gesicht mit aufgedunsenen Wangen und trüben Augen. Wie gut, dass er genau so aussieht - schmutzig und ekelerregend, als wäre er kein Mensch, sondern ein Reptil. Für solche Geschöpfe ist kein Platz in dieser Welt.
    Das Fernglas senkt sich. Der glänzende Gewehrlauf streckt sich zielsicher in die Richtung der Gestalt. Noch ein Augenblick... und ein einzelner Schuss erklingt kristallklar in der Stille des Morgens. Sofort ertönen andere Schüsse, ein Schusswechsel flammt auf, und irgendwo hinter dem Horizont krachen schwere Geschütze.
    Ein weiterer Kriegstag beginnt...
    Aber Dmitrij Wolgin, der Regimentsscharfschütze, hört den anschwellenden Lärm nicht. Die ganze Welt ist von einem triumphierenden Gedanken überschattet - der Schwur ist eingehalten! Der vierhundertste Eroberer ist vernichtet!
    Und ein weiterer unvergesslicher Tag erscheint vor seinem inneren Auge.
    Inmitten der schneebedeckten Schornsteine eines niedergebrannten Dorfes ein Regiment in Paradeaufstellung. Die Soldaten und Offiziere bekommen die Kampfauszeichnungen.
    Tiefe Stille. Nur das samtene Banner flattert im starken Wind.
    Leise, aber so, dass es das gesamte Regiment hört, sagt der Adjutant des Frontkommandeurs den nächsten Namen: »Hauptfeldwebel Wolgin!« Und die Hände des Marschalls befestigen den Goldenen Stern an einem roten Band am groben Leder seiner Pelzjacke.
    Den feierlichen Tag des neunten Mai neunzehnhundertfünfundvierzig hatte Dmitrij Wolgin in Wien erlebt. Der Krieg war zu Ende und irgendwie musste er weiter leben. Leningrad erschien ihm nun leer und kalt - Ira würde nie mehr dorthin kommen. Zum Arbeiten war Wolgin an die Peripherie gefahren.
    Und dann hatte er Michail Petrowitsch Sewerskij wieder getroffen, Iras Bruder. Die lange und vom Krieg unterbrochene Freundschaft flammte wieder auf.
    Sewerskij arbeitete im Außenministerium. Er hatte Wolgin, der ein Juristendiplom besaß, einen Diplomatenjob vorgeschlagen. Wolgin hatte bereitwillig zugestimmt. Bald war er zusammen mit seinem Schwager nach Frankreich gekommen.
    Und nun hatte ihn der Tod, der ihn auf den Schlachtfeldern immer verschont hatte, doch noch eingeholt.
    Wolgin seufzte tief und öffnete die Augen. Erstaunt stellte er fest, dass es im Zimmer fast vollkommen dunkel geworden war. Es war bereits Abend. Also hatte er sich nicht nur an seine Vergangenheit erinnert, sondern auch geschlafen.
    Der Regen klopfte nach wie vor träge gegen die Fensterscheiben. Wolgin streckte die Hand aus, klingelte aber nicht, da er plötzlich die festen Schritte eines Mannes im Nachbarzimmer hörte. Die Tür öffnete sich und der Hereingekommene blieb auf der Schwelle stehen. Wolgin sah nur eine dunkle Silhouette im hellen Rechteck, erkannte aber sofort seinen Schwager. Michail Petrowitsch dachte, der Kranke würde schlafen, machte einen Schritt zurück und wollte die Tür schließen.
    »Ich schlafe nicht, Mischa«, sagte Wolgin. »Komm her.«
    Sewerskij kam, leise auf dem weichen Teppich auftretend, ans Bett. »Warum liegst du denn im Dunkeln?«, fragte er.
    »Die Dunkelheit stört mich nicht. Setz dich ans Bett, ja, genau hier ... Ich hab mich gerade an mein Leben erinnert. Nichts Herausragendes, aber auch nichts, wofür ich mich schämen sollte. Und auch nichts, was mir Leid tun sollte. Nun kann ich in Ruhe sterben ...«
    »Was du nicht sagst!« Der
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