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Die Rueckkehr der Phaetonen

Titel: Die Rueckkehr der Phaetonen
Autoren: Georgi Martynow
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sich, er war sicher, dass er schnell wieder gesund werden würde, und später, als die Gefahr deutlich wurde, war es bereits zu spät. Der Tod hier, in Paris, und die Beerdigung auf fremdem Boden standen ihm bevor. Er würde nie wieder seine Heimat sehen können ...
    Jetzt war es dort Winter.
    Wolgin schloss die Augen. Er sah den Januarschnee auf Leningrads Straßen, auf den Straßen der Stadt, in der er geboren und aufgewachsen war, in der er seine Ausbildung gemacht und Ira getroffen hatte. Er stand wieder an der Granitbrüstung der Uferstraße auf der Wassiljewskij Insel. Vor ihm breitete sich das wunderschöne Panorama der vom Eis bedeckten Newa aus. Weit entfernt, am anderen Ufer, glänzte die Kuppel der Isaakskathedrale. Und rechts davon, vor dem Hintergrund gelber Mauern des Historischen Archivs, sah er die stolze Silhouette Peters des Großen auf dem aufgebäumten Pferd. Der Eherne Reiter! Das Denkmal, das er von Kindheit an innig liebte. Er hatte dieses majestätische Bild des schönsten Ortes in der Stadt so oft während seiner Lehre bestaunt...
    Er ging über die Brücke und fand sich auf dem riesigen Palastplatz wieder. Ging unter dem gelben Bogen hindurch und überquerte den Newskij-Prospekt. Da war das Haus, in dem er gewohnt hatte ...
    Sechzehn Jahre waren seither vergangen, doch das Gedächtnis hatte die kleinsten Details seiner Heimatstadt aufbewahrt. Und wäre es denn überhaupt möglich, Leningrad zu vergessen - die schönste, die majestätischste Stadt auf der Erde!
    Schnell, eins nach dem anderen, erschienen vor seinem inneren Blick die Gesichter der Kindheitsfreunde, dann der Schulkameraden. Es waren so viele ... Und über ihnen allen herrschte das Gesicht seiner Mutter. An den Vater, der gestorben war, als sein Sohn zwei Jahre alt wurde, konnte er sich nicht erinnern.
    Die Schuljahre gingen zu Ende. Die Universität!
    Ira!
    Zum letzten Mal hatte er sie an einem frostigen Tag im Februar 1943 gesehen, als sein Regiment auf den Fersen der sich zurückziehenden Deutschen eine kleine Stadt gestürmt hatte. Der furchtbare Marktplatz hatte sich für immer in sein Gedächtnis eingebrannt.
    Wolgin hatte neben seinen Kriegskameraden gestanden und zugesehen, wie die anderen den schwarzen, starren Körper seiner Ehefrau vorsichtig von einem Galgen herunter nahmen. Um sie herum hatten dicht gedrängt die Bewohner des Städtchens gestanden - die Zeugen des heldenhaften Todes der Partisanenärztin.
    »Dieser Ort ist heilig«, hatte einer von denjenigen, die beim Trauerzug Reden hielten, gesagt. »Er wird niemals vergessen. Über Jahrhunderte werden die Menschen der Frau gedenken, die hier für das Glück der anderen gestorben ist...«
    Nachher hatte es eine Zeit gegeben, in der Wolgin selbst den Tod suchte, doch die jaulenden Kugeln und glühenden Metallsplitter gingen immer an ihm vorbei und trafen andere in seiner Nähe. Der Tod wollte ihn von dem Gedanken über den unwiederbringlichen Verlust einfach nicht erlösen. Er war erst viel später zu ihm gekommen - hier in Paris.
    Dann hatte es den Umschwung gegeben. Der erste Impuls zur moralischen Genesung war ein nach frischer Druckerfarbe riechendes Armeezeitungsblatt. Darauf waren ein Bild von Ira und der Erlass des Obersten Präsidiums der Sowjetunion, der Partisanin Irina Petrowna Wolgina den Titel Heldin der Sowjetunion zu verleihen. Das Blatt, das er damals in die Innentasche seiner Feldbluse gelegt hatte, lag heute immer noch in der Innentasche seiner Ziviljacke. Über all die Jahre hatte Wolgin sich niemals von ihm getrennt. Die feierlichen Zeilen des Erlasses erinnerten ihn an Ira und an seine Pflicht gegenüber seiner Heimat.
    Danach hatte er nicht mehr den Tod gesucht.
    Der unvergessliche Tag, der später gekommen war, erschien deutlich wie auf einem unsichtbaren Bildschirm in Wolgins Gedächtnis.
    Früher Morgen. Auf dem dunkelblauen, langsam heller werdenden Himmel verblassen die Sterne und da verschwindet schon der letzte. Hinter einer langen Reihe lilafarbener Wolken, die wie ein gezackter Umriss einer Bergkette aussieht, leuchtet die Morgenröte. Zuerst rot, wird sie langsam rosa, und dann gelb. Die Sonne geht auf.
    Ein kaum merklicher leichter Wind kühlt angenehm den Körper. Über der Erde steigt ein durchsichtiger, fast unsichtbarer Dunst auf. Es scheint, als würden das Gras, die Büsche und die Bäume zittern, als hätten sie vor, sich von der Erde loszureißen und in den blauen Himmel empor zu steigen. Kein einziges Wölkchen über den
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