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Die Risikoluege

Die Risikoluege

Titel: Die Risikoluege
Autoren: Klaus Heilmann
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stiegen Feuerbälle und Rauchsäulen in den Nachthimmel. Rundherum lagerten Tonnen von explosionsgefährdetem Natrium, nicht weit davon entfernt Druckfässer mit Phosgen, dem Bhopal-Gas. Mehrere Hundert Feuerwehrleute und Polizisten waren vor Ort im Einsatz.

    Die Behörden der Nachbargemeinden alarmierten die Bevölkerung in den frühen Morgenstunden mit allgemeinem Sirenenalarm, eine mehrstündige Ausgangssperre wurde verhängt. Als sich später eine riesige stinkende Chemikalienwolke auf die Basler Innenstadt zubewegte, wurde vom kantonalen Krisenstab Katastrophenalarm ausgelöst. Erst am Morgen konnte Entwarnung gegeben werden.
    Mit den gewaltigen Mengen Löschwasser gelangten auch etwa 20 Tonnen Chemikalien sowie über 100 Kilogramm Quecksilber in den Fluss. Die benachbarte, ebenfalls am Rhein gelegene Chemiefirma Ciba-Geigy nutzte den Unfall, um als Trittbrettfahrer vermeintlich unbemerkt 400 Liter des Pflanzenschutzmittels Atrazin (heute in der EU verboten) in den Fluss einzuleiten.
    Als schon Tausende von toten Fischen im Rhein gefunden worden waren, sich dieser für alle sichtbar rot verfärbt hatte und die Trinkwasserversorgung in einigen Regionen zusammengebrochen war, teilte die Unternehmensleitung von Sandoz lapidar mit, dass »chemische, größtenteils harmlose Substanzen« frei geworden seien. Am 3. November 1986 musste zwischen Basel und Karlsruhe fast der gesamte Aalbestand tot aus dem Fluss geborgen werden, die Basler Chemiekatastrophe war zu einem Krisenthema entlang des gesamten Rheins geworden.
    Die deutsche chemische Industrie beteuerte sofort, wie es auch die Reaktorbetreiber nach Tschernobyl getan hatten, dass Unglücke dieser Art in der Bundesrepublik nicht möglich seien. In einer zufällig gleichzeitig laufenden Anzeigenkampagne wies der Verband der Chemischen Industrie (VCI) die Öffentlichkeit mit dem hübschen Slogan »Lieber Rhein, lieber Fluss« daraufhin, dass die Belastung
mit Schwermetallen in den vergangenen Jahren um mehr als 90 Prozent gesenkt worden sei. Tatsächlich brauchte der Rhein Jahre, um sich von diesem Unglück zu erholen.
    Die Reaktionen der Chemiefirmen entlang des Rheins waren allesamt erbärmlich. Es wurde gestritten, welche Mengen an Chemikalien nun wirklich in den Fluss gelangt seien, man machte versagende Kläranlagen und durchgerostete Rohre für weitere kleinere Zwischenfälle verantwortlich, brachte Entschuldigungen vor und beschuldigte sich gegenseitig. Auch deutschen Unternehmen wurde nachgesagt, dass sie den Brand und die auf ihn folgende Verseuchung des Rheins dazu benutzt hatten, eigene Chemikalien billig im Fluss entsorgt zu haben, ein Vorwurf, der nie völlig enthärtet wurde.
    Das erstaunlichste Geständnis dieser Tage aber stammte von einem gewissen Hans Winkler, der in der Konzernleitung bei Sandoz für Information zuständig war. In einem Spiegel -Interview sagte er: »Ich muss einräumen, dass wir überfordert sind. Vor allem von dem ungeheueren Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit wurden wir überrumpelt.« Welch eine Bemerkung! Der Mann, der im Unternehmen für die Information der Öffentlichkeit zuständig ist, eingesteht, vom Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Information überrascht worden zu sein.
    Bei Sandoz in Basel lief das gleiche Informationsritual ab, das zehn Jahre zuvor schon von Roche in Seveso praktiziert worden war: zuerst einmal vertuschen und dementieren, und danach versuchen, Informationen so lange wie möglich zurückzuhalten. Der unternehmerische Hochmut jedenfalls, der nach dem Brand in einer Diskussion zwischen der Unternehmensleitung und Basler Bürgern, und noch ein Jahr später, am Jahrestag, in Gesprächen zwischen
Unternehmen und Journalisten zum Ausdruck kam, machte deutlich, dass man in vielen Betrieben keinerlei Gespür dafür hat, was die Menschen nach einem Industrieunglück berührt und bewegt und was man ihnen auch in informativer Hinsicht eigentlich alles zumuten kann. Auch darin unterschied sich Schweizerhalle von Seveso nicht.
    Das mittlerweile entstandene Misstrauen der Menschen zu Großindustrien war durch das Chemieunglück von Basel erneut gerechtfertigt worden, vielleicht weniger durch das Ereignis selbst als durch den abermals demonstrierten Versuch, seine Auswirkungen zu verharmlosen. Bezeichnend war in einer Versammlung von Basler Bürgern und Industrievertretern der Zuruf eines Teilnehmers: »Geben Sie doch einmal zu, dass auch Sie manchmal hilflos sind. Dann könnten wir wieder miteinander
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