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Die Risikoluege

Die Risikoluege

Titel: Die Risikoluege
Autoren: Klaus Heilmann
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Monate, vielleicht sogar Jahre brauchen. Es wird Milliardenbeträge kosten, und als Ruine wird die Anlage Fukushima- 1 die Menschheit noch in Hunderten von Jahren an die Risiken erinnern, die ihre Ahnen bereit waren, einzugehen, um »kostengünstige« Energie zu produzieren. Die gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung der kontaminierten Gebiete lassen sich dabei noch gar nicht abschätzen.«
    Verständlicherweise belebte die Katastrophe von Tschernobyl die Debatte um die Gefahren der Kernenergie und die Sicherheit deutscher Atomkraftwerke. Während sich Kernkraftgegner und Umweltorganisationen in ihrer Ablehnung der Kernkraft bestätigt sahen, verkündeten die Betreiber, dass dies mit einem deutschen Reaktor nicht passieren könne. Gleiches hörte man übrigens jetzt nach Fukushima. Und der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß stellte lapidar fest, dass der Unfall
auf die Schlamperei in der Sowjetunion zurückzuführen sei. Von Schlamperei sprach jetzt auch die Internationale Atomenergieagentur IAEA, wobei diesmal die Japaner gemeint waren.
    Die Katastrophe von Tschernobyl und das sie begleitende Informationschaos führte 1990 zur Einführung der INES-Skala (International Nuclear Event Scale) durch die IAEA. Zuvor (1983) hatte ich gemeinsam mit John Urquhart nach dem Vorbild der Richterskala für Erdbeben eine Sicherheitsskala für technisch-zivilisatorische Risiken angegeben, deren Sinn es ist, den Medien und damit der Bevölkerung Informationen über Risiken und ihre Dimensionen besser verständlich zu machen.
    Im Gegensatz zur Heilmann-Urquhart-Skala, die Risiko als Quantifizierung von Wahrscheinlichkeiten betrachtet und deren Werte auf Fakten (statistischen Daten) beruhen, bezieht sich die INES-Skala auf das tatsächliche nukleare Ereignis und erklärt anhand von sieben Stufen seine Schwere. Dieser Ansatz ist für Reaktorzwischenfälle vernünftig, denn wie bei allen Risiken, die selten bis sehr selten eintreten, interessiert weniger die Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Schaden, als vielmehr sein Ausmaß. Bei den zumeist freiwilligen Risiken des täglichen Lebens hingegen ist es umgekehrt: Hier interessiert weniger das Ausmaß des Schadens, als vielmehr die Wahrscheinlichkeit seines Eintritts.
    Auch die INES-Skala hat die Richterskala für Erdbeben zum Vorbild. Während die Richterskala aber tatsächlich gemessene Stärken von Beben angibt, entstehen die Einstufungen der INES-Skala durch Einschätzungen von Nuklearexperten des eigenen Unternehmens, des Staates oder internationaler Behörden, wissenschaftlicher Institute
und Organisationen. Hierin ist ihre eigentliche und ganz wesentliche Schwäche zu sehen.
    Dies vor allem deshalb, weil Experten in ein und derselben Sache selten einer Meinung sind und somit das Ausmaß einer Katastrophe unterschiedlich einschätzen. Bestes Beispiel hierfür ist die Havarie des Reaktors in Fukushima, bei der die Situation vom Betreiber Tepco, von Greenpeace-Experten und von wissenschaftlichen Instituten in den USA jeweils völlig anders bewertet und die Katastrophe somit unterschiedlich auf der Skala eingeordnet und an die Öffentlichkeit kommuniziert wurde. Damit wird die Bevölkerung nicht beruhigt, sondern verunsichert.
    Schon vor, aber vor allem nach Tschernobyl, ist die Heilmann-Urquhart-Skala (aus Unkenntnis oder bewusst) für unsinnige Risikovergleiche missbraucht worden. Wenn man Risiken miteinander vergleichen will, dann setzt das voraus, dass diese überhaupt vergleichbar sind. Man darf nicht Risiken, die man selbst beeinflussen kann – die individuellen oder freiwilligen Risiken – mit allgemeinen beziehungsweise kollektiven Risiken vergleichen, die unfreiwillig sind und denen man mehr oder weniger hilflos ausgesetzt ist. Äpfel sind nun mal was anderes als Birnen. Das Risiko der Kernenergie mit dem des Straßenverkehrs zu vergleichen, was oft getan wurde und immer noch getan wird, ist also unsinnig.

    Risikovergleiche waren in den 1970- und 1980er-Jahren vor allem in den USA und in Großbritannien beliebt. Wissenschaftler versuchten die Bevölkerung mit dem Hinweis zu beruhigen, dass die Wahrscheinlichkeit, von einem Meteoriten getroffen zu werden, höher sei, als durch einen Nuklearunfall zu sterben. In Deutschland errechneten Experten
der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS), dass – bezogen auf damals 25 Reaktoren an 19 Standorten – mit etwa zehn Fällen von akuter Strahlenbelastung mit kurz- oder langfristiger
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