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Die Revolution der Ameisen

Die Revolution der Ameisen

Titel: Die Revolution der Ameisen
Autoren: Bernard Werber
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Weibchen genähert, indem es alle zwanzig Sekunden ein Bein vor das andere setzte. Das Weibchen hatte sich ein wenig entfernt, und das Männchen war viel zu träge gewesen, um es einzuholen.
    Doch das war nicht weiter tragisch. Bedingt durch die legendäre Langsamkeit der Männchen, hatten die Weibchen eine originelle Lösung des Problems der Fortpflanzung entwickelt: die Parthenogenese, die Jungfrauengeburt. Eine Befruchtung war nicht mehr notwendig. Gespenstheuschrecken brauchten keinen Partner mehr zu finden, um Nachkommen zur Welt bringen zu können. Es genügte, sich Kinder zu wünschen, um sie auch zu bekommen.
    Die Gespenstheuschrecke, auf der die rote Ameise sitzt, erweist sich als Weibchen, denn plötzlich beginnt sie, Eier zu legen, eines nach dem anderen, natürlich ganz langsam. Sie fallen von Blatt zu Blatt, wie harte Regentropfen. Die Tarnungskünste dieser Insekten sind so perfekt, daß ihre Eier wie Körner aussehen.
    Die Ameise knabbert ein bißchen an dem vorgeblichen Zweig, um festzustellen, ob er eßbar ist. Doch die Gespenstheuschrecken verstehen es auch, sich tot zu stellen.
    Sobald das Weibchen die Spitzen der Mandibeln spürt, erstarrt es und läßt sich zu Boden fallen.
    Die alte rote Ameise läßt sich davon jedoch nicht irreführen.
    Nachdem die Schlange und der Igel inzwischen das Weite gesucht haben, folgt sie der Gespenstheuschrecke nach unten und verspeist sie. Das seltsame Geschöpf zuckt sogar im Todeskampf kein einziges Mal. Zur Hälfte aufgefressen, bleibt es genauso regungslos wie ein echter Zweig. Nur eine Kleinigkeit ist verräterisch: Aus seinem Hinterleib fallen immer noch körnige Eier.
    Genug Aufregungen für diesen Tag! Es wird kühler – Zeit zum Schlafen. Die Ameise gräbt sich zwischen Erde und Moos ein. Morgen wird sie wieder versuchen, den Weg zu ihrem Geburtsort zu finden. Sie muß die anderen unbedingt warnen, bevor es zu spät ist.
    In aller Ruhe reinigt sie ihre Fühler, um die Umgebung klar und deutlich identifizieren zu können. Dann verschließt sie ihre kleine Höhle mit einem Steinchen, weil sie nicht mehr gestört werden will.
     

10. ENZYKLOPÄDIE
     
    Unterschiedliches Wahrnehmungsvermögen: Man nimmt von der Welt nur das wahr, worauf man vorbereitet ist. Für ein physiologisches Experiment wurden Katzen von Geburt an in einen kleinen Raum gesperrt, der mit vertikalen Mustern tapeziert war. Sobald sie das Alter erreicht hatten, in dem das Gehirn voll ausgebildet ist, wurden sie aus diesem Raum entfernt und in Kisten gesetzt, die mit horizontalen Linien tapeziert waren. Diese Linien führten zu Essensverstecken und zu Klapptüren ins Freie, doch es gelang keiner der Katzen, sich zu ernähren oder ins Freie zu gelangen. Ihr Wahrnehmungsvermögen war auf vertikale Linien eingeschränkt.
    Unser eigenes Wahrnehmungsvermögen ist genauso begrenzt. Wir können gewisse Gegebenheiten nicht begreifen, weil wir perfekt darauf konditioniert wurden, die Dinge nur auf eine ganz bestimmte Art und Weise wahrzunehmen.
    EDMOND WELLS,
    Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens, Band III

11. DIE MACHT DER WÖRTER
     
    Ihre Hand öffnete und schloß sich nervös, krallte sich sodann ins Kissen. Julie träumte. Sie träumte, sie wäre eine mittelalterliche Prinzessin. Eine Riesenschlange hatte sie gefangen und wollte sie verschlingen. Sie hatte Julie in schmutzig-braunen Treibsand geschleudert, wo es von jungen umher-kriechenden Schlangen nur so wimmelte, und Julie drohte darin zu versinken. Ein junger Prinz in einer Rüstung aus bedrucktem Papier galoppierte auf einem weißen Hengst herbei und kämpfte mit der Riesenschlange. Er schwenkte ein langes, spitzes rotes Schwert und flehte die Prinzessin an, durchzuhalten. Er komme ihr gleich zu Hilfe.
    Doch die Riesenschlange setzte ihr Maul wie einen Feuerwerfer ein, und die Papierrüstung war dem Prinzen von geringem Nutzen. Ein einziger Funke genügte, um sie in Brand zu setzen. Mit einer Schnur gefesselt, lagen er und sein Pferd bald auf einem Teller, umgeben von aschgrauem Püree.
    Der schöne Prinz hatte seine ganze Pracht eingebüßt: seine Haut war schwarzbraun, seine Augenhöhlen waren leer, und sein Kopf wurde von einer Rosine gekrönt.
    Die Riesenschlange packte Julie mit ihren Giftzähnen, zog sie aus dem Treibsand heraus und schleuderte sie statt dessen in eine Mousse aus weißer Schokolade mit Grand Marnier.
    Sie wollte schreien, aber die Mousse überschwemmte sie, drang in ihren Mund ein und hinderte sie
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