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Die Revolution der Ameisen

Die Revolution der Ameisen

Titel: Die Revolution der Ameisen
Autoren: Bernard Werber
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SCHWIERIGKEIT, SICH ZU BEHAUPTEN
     
    Die Ameise galoppiert mit aller Kraft ihrer sechs Beine dahin; ihre Fühler fliegen im Wind nach hinten, ihr Unterkiefer rasiert Moos und Flechten ab. Sie hastet im Zickzack zwischen Ringelblumen,
    Stiefmütterchen und Ranunkeln hindurch, aber ihr Verfolger gibt nicht auf. Der Igel, dieser mit spitzen Stacheln gepanzerte Riese, verpestet die Luft mit seinem schrecklichen Moschusgestank. Die Erde erbebt unter seinen Pfoten. Fetzen von Feinden hängen in seinen Stacheln, und wenn die Ameise sich die Zeit nähme, ihn genauer zu betrachten, könnte sie sehen, daß unzählige Flöhe sich auf ihm tummeln.
    Die alte rote Ameise springt über eine Böschung hinweg, in der Hoffnung, ihren Verfolger abzuschütteln. Der Igel wird jedoch nicht einmal langsamer. Seine Stacheln sind auch als Stoßdämpfer äußerst nützlich. Er rollt sich einfach zur Kugel zusammen, wenn es bergabwärts geht, und stellt sich dann wieder auf seine vier Beine.
    Die Ameise läuft noch schneller. Plötzlich taucht ein glatter weißer Tunnel vor ihr auf. Sie erkennt zunächst nicht, was das sein könnte. Der Eingang ist jedenfalls breit genug, um eine Ameise passieren zu lassen. Was das wohl sein mag? Für den Bau einer Heuschrecke oder Grille ist die Öffnung viel zu groß.
    Vielleicht die Heimstatt eines Maulwurfs oder einer Spinne?
    Ihre Fühler sind so weit nach hinten gebogen, daß sie das Gebilde nicht abtasten kann. Deshalb ist sie gezwungen, sich ganz auf ihr Sehvermögen zu konzentrieren, das aber nur aus nächster Nähe völlig scharfe Bilder liefert. Viel zu spät erkennt sie, daß dieser weiße Tunnel kein Zufluchtsort ist, sondern der gähnende Schlund einer Schlange.
    Von einem Igel verfolgt, und vor sich eine Schlange! Diese Welt ist wirklich nicht für Einzelwesen geschaffen.
    Die alte rote Ameise sieht nur einen einzigen Ausweg: einen Zweig, an dem sie rasch hochklettern kann. Schon dringt die lange Schnauze des Igels in den Rachen der Schlange ein.
    Höchste Zeit für ihn, sich hastig zurückzuziehen und die Schlange in den Hals zu beißen, die sich schon zusammenringelt, weil sie es gar nicht schätzt, wenn jemand ihren Schlund heimsucht.
    Von ihrem Zweig aus beobachtet die alte rote Ameise interessiert den Kampf ihrer beiden Feinde.
    Langer kalter Schlauch gegen warme stechende Kugel. Die schwarzgesprenkelten Augen der Viper verraten weder Furcht noch Haß, nur äußerste Konzentration hinsichtlich der Aufgabe, ihren Kopf in die günstigste Position zu bringen. Der Igel gerät hingegen in Panik. Er bäumt sich auf und versucht, den Bauch des Reptils mit seinen Stacheln anzugreifen. Das Tier ist unglaublich beweglich. Seine kleinen krallenbewehrten Beine schlagen auf die Schuppen ein, die den Stacheln Widerstand leisten. Doch die eisige Peitsche rollt sich zusammen und geht ihrerseits zum Angriff über. Die Viper öffnet den Mund und entblößt klickend ihre Giftzähne, aus denen flüssiger Tod sickert. An und für sich sind Igel gegen die giftigen Bisse von Vipern gut geschützt, es sei denn, diese verletzen sie genau an der zarten Schnauze.
    Bevor die Schlacht entschieden ist, wird die Ameise davongetragen. Zu ihrer großen Überraschung setzt sich der Zweig, an den sie sich geklammert hat, langsam in Bewegung.
    Anfangs glaubt sie, der Wind sei schuld daran, doch als der Zweig sich von seinem Ast löst und zu kriechen beginnt, versteht sie gar nichts mehr. Der Zweig klettert schwankend auf einen anderen Ast, legt eine kurze Rast ein und beginnt, den Baumstamm zu erklimmen.
    Verblüfft läßt sich die alte Ameise von dem Zweig forttragen. Nach einer Weile wirft sie einen Blick nach unten und begreift endlich. Der Zweig hat Augen und Beine. Kein botanisches Wunder, nein. Das ist gar kein Zweig, sondern eine Gespenstheuschrecke.
    Diese Insekten mit länglichen, feingliedrigen Körpern schützen sich durch Mimikry gegen ihre Feinde: sie nehmen das Aussehen der Zweige, Blätter oder Stengel an, auf denen sie sich niederlassen. Der Gespenstheuschrecke ist ihr Täuschungsmanöver so gut gelungen, daß ihr Körper sogar eine typische Holzfaserung aufweist, mit braunen Flecken und Kerben, so als hätte eine Termite daran genagt.
    Ein weiterer Trumpf der Gespenstheuschrecke: Ihre Langsamkeit trägt noch zum Mimikry bei. Niemand greift etwas fast Unbewegliches an. Die alte Ameise hat einmal ein Liebesspiel zwischen zwei Gespenstheuschrecken beobachtet.
    Das Männchen hatte sich dem etwas größeren
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