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Die Revolte des Koerpers

Die Revolte des Koerpers

Titel: Die Revolte des Koerpers
Autoren: Alice Miller
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ebenfalls wichtiger Aspekte eines Lebens. Dadurch kann der Eindruck der Einseitigkeit oder des Reduktionismus entstehen, doch ich nehme diesen Vorwurf in Kauf, weil ich den Leser nicht durch zu viele Einzelheiten vom roten Faden dieses Buches, vom Fokus Körper und Moral, ablenken möchte.
    Alle hier angeführten Schriftsteller, mit Ausnahme vielleicht von Kafka, wußten eben nicht, daß sie als Kinder unter ihren Eltern schwer gelitten hatten, und als Erwachsene »trugen sie ihnen nichts nach«, zumindest nicht bewußt. Sie haben ihre Eltern vollkommen idealisiert. So wäre es völlig unrealistisch, anzunehmen, daß sie ihre Eltern mit ihrer Wahrheit hätten konfrontieren können, die ihnen, den erwachsenen Kindern, ja unbekannt war, weil vom Bewußtsein verdrängt.
    Dieses Nichtwissen bildet eben die Tragik ihres meist kurzen Lebens. Die Moral verhinderte das Erkennen der Realität, der Wahrheit des Körpers im Leben dieser hochbegabten Menschen. Sie konnten nicht sehen, daß sie ihr Leben doch den Eltern opferten, obwohl sie wie Schillerfür die Freiheit kämpften oder wie Rimbaud und Mishima, oberflächlich betrachtet, alle moralischen Tabus brachen, wie Joyce den literarischen und ästhetischen Kanon ihrer Zeit umstürzten oder wie Proust zwar die Bourgeoisie durchschauten, aber nicht das Leiden an der eigenen, von der Bourgeoisie abhängigen Mutter. Ich habe mich gerade auf diese Aspekte konzentriert, weil über sie, soviel ich weiß, aus der Perspektive Körper und Moral noch nirgends etwas publiziert wurde.
     
    In diesem Buch greife ich manche Gedanken aus meinen vorherigen Büchern auf, um sie aus der hier beschriebenen neuen Perspektive zu beleuchten und um auf Fragen einzugehen, die bislang offengeblieben sind. Die therapeutische Erfahrung zeigt zwar schon seit Wilhelm Reich immer wieder, daß starke Emotionen abrufbar sind. Doch erst heute läßt sich dieses Phänomen gründlicher erklären, dank der Arbeiten moderner Hirnforscher wie Joseph LeDoux, Antonio R. Damasio, Bruce D. Perry und zahlreicher anderer. Wir wissen also heute einerseits, daß unser Körper ein vollständiges Gedächtnis dessen besitzt, was wir jemals erfahren haben; anderseits wissen wir, daß wir dank der therapeutischen Arbeit an unseren Emotionen nicht länger dazu verdammt sind, diese blind an unseren Kindern oder zu unserem eigenen Schaden auszuleben. Daher beschäftige ich mich im zweiten Teil mit Menschen von heute, die durchaus bereit sind, sich der Wahrheit ihrer Kindheit zu stellen und ihre Eltern in einem realen Licht zu sehen. Leider zeigt es sich sehr häufig, daß ein möglicher Erfolg in einer Therapie dennoch verhindert werden kann, wenn die Therapie, was oft vorkommt, unter dem Diktat der Moral durchgeführt wird und der Klient sich deshalb nicht von dem Zwang befreien kann,auch als Erwachsener den Eltern Liebe oder Dankbarkeit schuldig zu sein. Die im Körper gespeicherten authentischen Gefühle bleiben dadurch weiterhin blockiert, was die Klienten damit bezahlen müssen, daß auch die schweren Symptome weiterhin bestehenbleiben. Ich gehe davon aus, daß sich Menschen, die mehrere Therapieversuche unternommen haben, leicht in dieser Problematik wiederfinden werden.
     
    Anhand des Zusammenhangs zwischen Körper und Moral stieß ich auf zwei weitere Aspekte, die mit Ausnahme des Problems der Vergebung neu für mich waren. Ich stellte mir einerseits die Frage, was eigentlich das Gefühl sei, das wir auch als Erwachsene immer noch Liebe zu den Eltern nennen. Andererseits beschäftigte mich die Einsicht, daß der Körper ein Leben lang die Nahrung sucht, die er in der Kindheit so dringend gebraucht hätte, aber niemals bekommen hat. Gerade darin liegt meines Erachtens die Quelle des Leidens vieler Menschen. Der dritte Teil zeigt anhand einer auf ganz besondere Weise »sprechenden Krankheit«, wie der Körper sich gegen die falsche Nahrung wehrt, weil er unbedingt die Wahrheit braucht. Solange diese nicht erkannt wird, die echten Gefühle eines Menschen gegenüber den Eltern weiterhin ignoriert werden, kann er die Symptome nicht aufgeben. Ich wollte in einer einfachen Sprache die Tragik der Patienten mit Eßstörungen zeigen, die ohne emotionalen Austausch aufwuchsen und diesen auch in ihren späteren Behandlungen vermissen. Es würde mich freuen, wenn diese Beschreibung einigen Patienten mit Eßstörungen helfen würde, sich selbst besser zu verstehen. Darüber hinaus wird im fiktiven »Tagebuch der Anita Fink« die
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