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Die Reliquie von Buchhorn

Die Reliquie von Buchhorn

Titel: Die Reliquie von Buchhorn
Autoren: Birgit Erwin / Ulrich Buchhorn
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dich!« Gudrun packte seinen Ärmel und versuchte ihn festzuhalten, während er dem Stall zustrebte.
    Am liebsten hätte er die alte Frau mit Gewalt abgeschüttelt, aber sie war eine mächtige Verbündete unter dem Gesinde des Grafen, und sie hatte seine Vergangenheit nicht vergessen. Also befreite er nur nachdrücklich seinen Arm und betrat den Stall. Die Pferde spitzten die Ohren, aber anders als sonst nahm er sich nicht die Zeit für ein paar Worte oder eine Liebkosung. Zielstrebig ging er auf einen hochbeinigen Falben zu, warf ihm den Sattel auf den Rücken und führte ihn aus dem Stall.
    »Wulfhard!«, zeterte Gudrun, »du bleibst hier!« Sie bekam sein Hemd zu fassen und zerrte daran. »Willst du etwa das Pferd des Grafen stehlen?«
    Er zögerte. Vor seinem inneren Auge erschien wieder Dietger in seinem Blut, dann Isentrud, bleich und mit blauen Flecken im Gesicht. Sein Mund wurde hart. »Lass mich, Gudrun. Ich bin der Stallmeister des Grafen und habe jedes Recht, seine Pferde zu reiten. Also geh mir aus dem Weg!« Er schwang sich auf den Rücken des Falben, drückte ihm die Fersen in die Seiten und preschte los. Das Keifen der alten Frau verhallte hinter ihm.
    Der Wald lichtete sich rasch, und bald gaben die kahlen Äste, die schwarz in den Himmel ragten, die Sicht auf den See frei. Wulfhard trieb sein Tier härter an. Feuchte Erdklumpen spritzten auf und durchweichten seine ohnehin feuchten Hosenbeine. Der kalte Wind schnitt in seine Haut, doch er achtete kaum darauf. Ganz allmählich kehrte sein klarer Verstand zurück. Einen Pferdedieb hatte Gudrun ihn genannt, und sie hatte recht. Einen winzigen Moment lang kamen dem einsamen Reiter Zweifel, ob er nicht doch lieber umkehren sollte, aber er verwarf den Gedanken. Seine Instinkte hatten ihn selten getrogen, und er hatte gelernt, auf sein Glück zu vertrauen.
    Er hatte Argenau und Wasserburg längst hinter sich gelassen, und vor ihm tauchte im Licht des frühen Nachmittags das Frauenkloster von Lindau auf, als er merkte, wie der Tritt des Falben unsicher wurde. Wulfhard zügelte das Pferd. Wenn er dem Grafen nicht zu allem Überfluss ein zuschanden gerittenes Tier zurückbringen wollte, würde er den Gaul unterstellen und im nächsten Mietstall ein anderes Pferd besorgen müssen. Wulfhard stieß einen gotteslästerlichen Fluch aus, als ihm einfiel, dass er bei seinem überstürzten Aufbruch nicht an seine Börse gedacht hatte.
    »Hältst du es aus, alter Junge?«, fragte er leise.
    Wie zur Antwort strauchelte der Falbe.
    »Also nicht. Dann eben doch«, Wulfhard biss die Zähne zusammen, »nach Bregenz.«
     
    Der Weg zum Grünen Felchen kam Wulfhard vor wie ein Ritt in eine Vergangenheit, die er gern hinter sich gelassen hätte. Obwohl er starr geradeaus sah, schien ihm jeder Stein seine Taten im Dienst des Junkers von Bregenz zuzuschreien. Die wenigen Karren, die durch die Unterstadt rumpelten, klangen wie der Schandkarren, der ihn schließlich ins Verließ gebracht hatte. Zum hundertsten Mal griff er nach seinem Gürtel, aber der Lederbeutel, in dem er seine Ersparnisse aufbewahrte, tauchte nicht auf.
    Das Grüne Felchen war noch die gleiche verkommene Spelunke mit schmutzigen Tüchern vor den Fenstern und schiefen Türangeln. Wulfhard ließ sie links liegen und wandte sich zum Mietstall, der nur ein paar Schritte entfernt lag. Vom Hafen her wehte der Gestank nach verdorbenem Fisch, der sich hartnäckig in der engen Gasse hielt. Wulfhard setzte eine hochmütige Miene auf und betrat das niedrige Gebäude.
    Ein dürrer Knecht blickte auf, als er die Schritte hörte. »Was kann ich …« Er unterbrach sich und starrte Wulfhard fassungslos an. Ein hässliches Lächeln glitt um seinen Mund. »Wenn das nicht der Handlanger des Junkers ist. Sie haben alle erzählt, du seist tot. Hingerichtet. Oder im Kerker verreckt. Und jetzt spazierst du hier einfach so herein. Hat die Hölle Ausgang?«
    Wulfhard schoss das Blut ins Gesicht. »Red keinen Unsinn. Ich bin der Stallmeister des Grafen von Buchhorn, also sei vorsichtig, was du sagst.«
    »Leuthard wird sich freuen, wenn er davon hört. Du erinnerst dich doch noch an den Felchen-Wirt? Magst du deine Schulden gleich bezahlen?«
    Wulfhard packte den Knecht am Wams und stieß ihn gegen die Wand. »Mit Leuthard und seinesgleichen bin ich endgültig fertig. Und jetzt gib mir ein Pferd. Ich muss im Auftrag des Grafen nach St. Gallen. Der Falbe, den ich draußen habe, lahmt, und ich habe es eilig. Bezahlen werde ich dich,
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