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Die Reisen des Mungo Carteret

Die Reisen des Mungo Carteret

Titel: Die Reisen des Mungo Carteret
Autoren: Gisbert Haefs
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einzelnen »Ländern«, die vor allem durch natürliche Grenzen wie Berge oder Flüsse getrennt waren.
    »Aus der Geschichte Pentagoniens«, stand im Dossier zu lesen, »sind nur wenige Fälle von Religion oder Ideologie bekannt, und diese konnten immer beendet werden, ehe sie zu Epidemien wurden. Auftretende Propheten wurden von den Räten und Reichen immer sofort isoliert und auf entlegene Inseln verbannt oder, bei besonderer Virulenz und Ansteckungsgefahr, exekutiert. Im Umgang wirken die Pentagonier ausnahmslos offen und bemerkenswert rational; da sie Fremde schnell als solche erkennen, mag diese Offenheit aber durchaus gespielt sein, um Auswärtige in Sicherheit zu wiegen und durch vorgetäuschte Nähe auf Distanz zu halten. Natürlich haben sich überall Gebräuche, Rituale und Formen von Gruppenzeremoniell entwickelt, scheinen jedoch auf private ›Clubs‹ beschränkt zu sein, die keinen politischen Einfluß suchen. Eine Ausnahme ist möglicherweise die ›Kommensalität von Gurgash‹, die eine gewisse Macht besitzt. Diese ist allerdings örtlich und quantitativ begrenzt, da die ›Kommensalen‹ bzw. ›Tischgenossen‹ sich aus den einhundertfünfzig alten und reichen Sippen rek rutieren und weder Nicht-Gurgashiten aufnehmen noch expansiv sind. Angeblich sind sie durch ein geheimes Blutritual verbunden; bekannt ist lediglich, daß sie sich einmal im Jahr, jeweils an den drei letzten Oktobertagen, zu einem ›Großen Tisch‹ treffen.«
    Es wurden noch etliche andere Fakten erwähnt, die Carteret bereits kannte oder zumindest in Umrissen erfaßt hatte: Abneigung gegen den »Superstaat« Commonwealth, was Handel nicht ausschloß; Ablehnung der Zeitrechnung des Commonwealth und Treue zum irdischen Kalender, was zahlreiche Schalttage erforderte und dazu geführt hatte, daß Jahreszeiten und Kalender nur gelegentlich und zufällig übereinstimmten; die Verwendung der vor der Auswanderung bereits auf der Erde verbreiteten galakteinischen Verkehrssprache; Angaben über die Eßbarkeit heimischer Tiere und Pflanzen, Angaben über Gifte und Krankheiten …
    Mit etwas mehr Interesse las er schließlich noch einmal das durch, was das Dossier über Zamboro enthielt; anfangs hatte er dies lediglich überflogen. Von Bodenschätzen war da die Rede (»Gold, Platin, Diamanten, Uran, Transurane sind wichtige Exportgüter«), vom Abbau durch Sträflinge und Spezialisten { * } und von den schwarzen Palästen der Bergwerksbesitzer (»die wichtigsten Männer dieser Minenaristokratie gehören natürlich ebenfalls der mysteriösen ›Kommensalität‹ an und haben, neben den Palästen bei Zamboro und Berg- oder Küstenvillen, auch Stadthäuser in Gurgash«). Ferner gab es teils epische, teils poetische Beschreibungen der kilometertiefen Wasserfälle von Yulnin, der glitzernden Hochlandwiesen im Zavadera-Distrikt, der besonders schmackhaften Bolo- Nüsse und der Flugkünste des pentagonischen Eulengeiers.
    Als der Bus in Buharanga hielt, wo die Route nach Zamboro abzweigte, stiegen Cal und Don aus; die Verabschiedung bestand aus Nicken und flüchtigem Grinsen.
    Carteret nahm an, daß er die beiden nicht wiedersehen würde, und er bedauerte ein wenig, mit Don wohl doch keine noastoischen Spitzfindigkeiten mehr austauschen zu können. Inzwischen war er fast sicher, daß er den Fall gelöst hatte, daß er wußte, wo Arisha Punt sich aufhielt, wo und warum die anderen Ermittler von SIC und Loredanos Truppe getötet worden waren; und er hatte auch eine undeutliche Vorstellung vom eigentlichen Motiv, das er abwechselnd grotesk und monströs fand. Was noch fehlte, waren die berühmten letzten Steinchen für das Mosaik. Und eine Idee, wie er lebendig ins Com monwealth zurückkehren könnte.
     
    Kurz vor Sonnenuntergang erreichte der Bus die Plaza Terra in Gurgash. Alte Häuser mit verzierten Baikonen bildeten die kurze Ostseite des Platzes, westlich lag das Hafenbecken, und an beiden Längsseiten zogen sich Arkaden hin. In der Platzmitte standen alte Bäume; auf den Bänken unter ihnen tummelte sich die Jugend des Orts.
    Carteret begab sich zu einem Kiosk auf dem Kai. Er kaufte einen Stadtplan, eine Zeitung – die Gurgazeta – und erkundigte sich nach dem besten Hotel. Die mittelal te Frau runzelte die Stirn.
    »Kommt drauf an«, sagte sie. »Commies wie Sie ge hen meistens ins Rizzo .«
    »Und Gurgashiten?«
    »In den Purpurpalaz .«
    »Kommen denn viele Commies her?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Commies manchmal, andere Auswelter
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