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Die Rebellin von Leiland 2: Das Gift des Herzogs (German Edition)

Die Rebellin von Leiland 2: Das Gift des Herzogs (German Edition)

Titel: Die Rebellin von Leiland 2: Das Gift des Herzogs (German Edition)
Autoren: Magali Ségura
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Ungeheuer
    Er trug nichts in den Händen, nur Leere. Andin sah sie an, ohne es zu verstehen: Ophelia war wie durch einen Zauber verschwunden. Die Unmöglichkeit narrte seine Sinne. Die Brücke, die Wiese und der Wald hatten einem schwarzen, unheimlichen Sumpf Platz gemacht. Einige verkrümmte Bäume trugen am äußerste n Ende ihrer Äste eine Art von Algentrauben oder zerfetzten Fäden.
    Nicht weit entfernt lag eine Gestalt im Morast. Blut und fauliges Wasser strudelten über einen Leichnam, dessen Eingeweide mit unglaublicher Wut zerfetzt worden zu sein schienen. Nur an der Waffe konnte Andin noch den Soldaten erkennen, der seinem Angriff ausgewichen war, indem er sich auf die Brücke zurückgezogen hatte. Ihm wurde übel: Den Mann gab es wirklich, all das hier war keine Illusion.
    Während er vorsichtig zurückwich, bemerkte Andin, dass sein Gepäck, seine Tasche, sein Bogen und seine Pfeile aufgehäuft neben ihm lagen. Wer hatte sie Nis abnehmen können? Und außerdem… Wo war sie? Seine Stute, die ihm doch anscheinend gefolgt war, als er die Brücke betreten hatte, war auf dieselbe Weise wie Ophelia verschwunden.
    Verirrt in diesem Universum, in dem alles in Leid überzugehen schien und in dem die Stille ohrenbetäubender als jeder Schmerzensschrei und jedes Flehen war, versuchte Andin, die Grenzen dieses Vorzimmers des Todes zu ermessen. Hinter ihm wie vor ihm reichte die düstere Landschaft bis zum Horizont, ohne dass ein Tor oder Durchgang verraten hätte, wie er hierhergelangt war.
    Eine Brise, ein Hauch so warm wie Atem, war zu spüren. Auf der Hut wirbelte Andin herum, Schwert und Dolch gezogen. Nichts. Irgendjemand wollte, dass er die Nerven verlor. Er holte tief Atem und fing sich wieder. Sein Körper rührte sich nicht mehr, seine Sinne waren alle hellwach und seine Muskeln auf jeden Zufall vorbereitet.
    Er dachte plötzlich an Victoria in den Dunklen Wäldern zurück. In aller Sanftheit hatte sie ihn vor der Gefahr gewarnt:
    » Du solltest wissen, dass der Verbotene Wald existiert und dass das Ungeheuer, das darin haust, real ist. Versuch nicht, es zu besuchen, denn ich könnte es niemals aufhalten.«
    Diese Worte hallten in seinem Kopf wider, und er sah das Gesicht des jungen Mädchens vor sich. Er verscheuchte das schöne, sentimentale Bild. Victorias engelsgleiche Blicke verbargen viel zu oft erstaunliche Kräfte. Er bereute seine Tat nicht. Wenn es ein Ungeheuer gab, dann hatte er nicht im Geringsten die Absicht, ihm zur Erinnerung sein Leben zu überlassen!
    Ein beklemmendes Gefühl lastete auf seiner Brust: Von diesem Punkt an gab es kein Zurück. Er spürte den Boden hinter sich erzittern, und ein Grollen ertönte. Andin drehte sich langsam um und erstarrte angesichts dessen, was seine Augen ihm zeigten. Das Undenkbare erschien.
    Auf mächtigen Hinterbeinen hockend ragte ein gewaltiger, von dunkel glänzenden Schuppen bedeckter Körper in den düsteren Himmel auf. Die Krallen der Vorderpranken glichen Dolchen. Auf einem aberwitzig langen, in Windungen gelegten Hals saß ein gekrümmter Schädel, der von zwei Hörnern auf der Stirn und einem kleinen auf der Schnauze gekrönt war. Weit oben im Kopf lagen halb geschlossene Augen, tief eingesunken in großen Augenhöhlen mit hervorstehenden Wülsten. Das Ungeheuer schien gerade erst zu erwachen.
    Sein langer Schwanz mit den abgeflachten Seiten war mit einer Reihe dicker Knochenschilde bewehrt und endete in einer rautenförmigen Platte. Mit einer mächtigen Bewegung bespritzte er einen Baum mit stehendem Wasser. Die längliche Schnauze, die von fingerdicken Adern überzogen war, bewegte sich und öffnete sich zu einem Röcheln, so dass Andin einen flüchtigen Blick auf säbelförmige Reißzähne erhaschte. Geifer quoll aus dem Maul hervor und breitete sich auf dem feuchten Boden aus. Andin vergaß zu atmen.
    Das Tier stieß ein mächtiges Gebrüll aus, das den Boden und die Trommelfelle des jungen Mannes erzittern ließ.
    » Wer wagt es, den Schlaf des Wächters des Verlorenen Waldes zu stören? Welcher bloße Sterbliche erdreistet sich, es mit meiner Macht aufzunehmen?«
    Die Augenschlitze öffneten sich und enthüllten eine gelbe Färbung. Die tiefe, ernste Stimme des Ungeheuers verriet, um wen es sich handelte: Joran! Diese Erkenntnis beruhigte Andin nicht gerade. Er wusste, dass das seltsame Wesen, von dem das Mädchen-mit-den-blauen-Augen so viel hielt, ihm ewige Feindschaft geschworen hatte. Das Maul klaffte zu einem seltsamen, verächtlichen
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