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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut
Autoren: Margaret Atwood
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Reihe und versuchten ständig, sich hintereinander zu verstecken, so als wollten sie nicht gesehen werden.
    Keiner dieser Männer war Roz’ Ex-Mann Mitch, wie Tony interessiert und ein wenig enttäuscht feststellte, obwohl sie Roz’ zuliebe froh darüber war. Sie spürte, wie Roz sich den Hals verrenkte, die Gesichter absuchte: sie schien damit gerechnet zu haben, daß Mitch da sein würde, und was dann? Dann hätte es garantiert eine Szene gegeben.
    Auch Charis sah sich suchend um, wenn auch nicht ganz so offensichtlich; aber falls einer dieser Männer Billy war, hätte Tony es nicht sagen können, weil sie Billy nie kennengelernt hatte. Er war in der Zeit aufgetaucht und wieder verschwunden, in der sie keinen Kontakt zu Charis gehabt hatte. Charis hatte ihr zwar ein Foto gezeigt, aber es war unscharf, und der obere Teil von Billys Kopf fehlte, und er trug damals einen Bart. Männergesichter veränderten sich stärker als Frauengesichter, im Laufe der Zeit. Oder sie konnten sie mehr verändern, ganz nach Belieben. Sie brauchten nur Gesichtshaare dazuzutun oder wegzunehmen.
    Es war überhaupt niemand da, den Tony kannte; von Roz und Charis abgesehen, natürlich. Sie hätten sich dieses Schauspiel um nichts auf der Welt entgehen lassen, sagte Roz. Sie wollten Zenias Ende miterleben, ganz sicher sein, daß sie tatsächlich voll und ganz (Tonys Ausdruck) außer Gefecht war. Charis’ Ausdruck lautete friedlich. Der von Roz kaputt.
     
    Die Trauerfeier war beunruhigend. Sie wirkte zusammengestückelt und fand in der Kapelle eines Beerdigungsinstituts statt, einer Kapelle von einer derart geschmacklosen, magentaroten Aufdringlichkeit, daß Zenia sich vor Abscheu geschüttelt hätte. Es gab mehrere Blumensträuße, weiße Chrysanthemen. Tony überlegte, wer sie geschickt haben könnte. Sie selbst hatte keine Blumen geschickt.
    Ein Mann in einem blauen Anzug, der sich als Zenias Anwalt zu erkennen gab – derselbe Mann demzufolge, der Tony angerufen und über die Trauerfeier informiert hatte –, verlas eine kurze Eloge auf Zenias gute Eigenschaften, unter denen Mut an erster Stelle rangierte, obwohl Tony nicht fand, daß die Umstände von Zenias Tod besonders mutig gewesen waren. Zenia war bei irgendeinem terroristischen Sprengstoffanschlag im Libanon ums Leben gekommen; sie war nicht das Ziel, sondern nur zufällig im Weg gewesen. Ein unschuldiges, unbeteiligtes Opfer, sagte der Anwalt. Tony war, was beide Ausdrücke anging, skeptisch: unschuldig war niemals Zenias Lieblingsausdruck für sich selbst gewesen, und Unbeteiligtsein gewiß keine für sie typische Aktivität. Der Anwalt sagte nicht, was sie dort gemacht hatte, in dieser namenlosen Straße in Beirut. Statt dessen sagte er, alle würden sie lange in Erinnerung behalten.
    »Da hat er verdammt recht«, flüsterte Roz Tony zu. »Und mit Mut hat er wahrscheinlich große Titten gemeint.« Tony fand diese Bemerkung geschmacklos, da die Größe von Zenias Brüsten nun wirklich kein Thema mehr war. Sie fand, daß Roz manchmal zu weit ging.
    Zenia selbst war nur im Geiste anwesend, sagte der Anwalt, und in Form ihrer Asche, die sie nun zum Mount-Pleasant-Friedhof bringen würden, um sie dort zur Ruhe zu betten. Er sagte tatsächlich zur Ruhe betten. Es war Zenias Wunsch gewesen, stand in ihrem Testament, daß ihre Asche unter einem Baum ruhen sollte.
    Ruhen war sehr untypisch für Zenia. Ebenso wie der Baum. Überhaupt schien es sehr untypisch für Zenia, ein Testament gemacht oder gar einen Anwalt gehabt zu haben. Aber man konnte nie wissen, Menschen veränderten sich. Warum zum Beispiel hatte Zenia sie drei auf die Liste der Personen gesetzt, die im Falle ihres Todes benachrichtigt werden sollten? Aus Reue? Oder um zuletzt lachen zu können? Falls ja, verstand Tony die Pointe nicht.
    Der Anwalt war keine große Hilfe gewesen: er hatte nur die Namensliste, behauptete er wenigstens. Tony konnte nicht von ihm erwarten, daß er ihr Zenia erläuterte. Falls überhaupt, müßte es eher umgekehrt sein. »Sie sind doch ihre Freundin gewesen, oder?« hatte er vorwurfsvoll gesagt.
    »Doch«, hatte Tony geantwortet. »Aber das ist schon lange her.«
    »Zenia hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis«, sagte der Anwalt und seufzte. Tony hörte diesen Seufzer nicht zum ersten Mal.
     
    Es war Roz, die darauf bestand, daß sie im Anschluß an die Trauerfeier mit zum Friedhof fuhren. Sie fuhren in ihrem Wagen, dem großen. »Ich will sehen, wo sie sie hintun, damit ich die Hunde dort
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