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Die Radleys

Titel: Die Radleys
Autoren: Matt Haig
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Schuppen hatten jede Farbe verloren.
    Im Moment spürt sie die Augen ihrer Mutter in ihrem Rücken, während sie die Sojamilch aus dem Kühlschrank nimmt. »Weißt du, wenn du wenigstens richtige Milch trinken würdest, dann ginge es dir bestimmt viel besser. Kann sogar fettarm sein.«
    Clara fragt sich, wie Milch durch Entfetten veganer werden soll, reißt sich aber zusammen und lächelt. »Mir geht’s gut. Mach dir bitte keine Sorgen.«
    Inzwischen sind alle da, in der Küche. Ihr Vater trinkt seinen frischen Kaffee, und ihr Bruder verschlingt sein morgendliches Fleischsortiment aus dem Feinkostladen.
    »Peter, sag du es ihr. Das macht sie krank.«
    Peter braucht etwas Zeit. Die Worte seiner Gattin müssen den breiten roten Fluss seiner Gedanken durchschwimmen und sich triefend und erschöpft an das schmale Ufer väterlichen Pflichtgefühls retten.
    »Deine Mutter hat recht«, sagt er. »Du machst dich krank.«
    Clara schüttet die anstößige Milch über ihr Nuss-Mix-Müsli, während ihr mit jeder Sekunde übler wird. Sie würde gerne darum bitten, das Radio leiser zu stellen, weiß aber, wenn sie das tut, wird man sie nur für noch kränker halten.
    Wenigstens ist Rowan auf ihrer Seite, auf seine ihm eigene, schlaffe Art. »Das ist Soja, Mum«, sagt er mit vollem Mund. »Kein Heroin.«
    »Sie muss aber Fleisch essen.«
    »Es geht mir gut .«
    »Sieh mal«, sagt Helen. »Ich finde wirklich, du solltest heute nicht zur Schule gehen. Ich rufe für dich an, wenn du willst.«
    Clara schüttelt den Kopf. Sie hat Eve versprochen, am Abend mit ihr auf Jamie Southerns Party zu gehen, und deshalb muss sie zur Schule, sonst darf sie abends ganz sicher nicht ausgehen. Und außerdem wird sie ein Tag voller Pro-Fleisch-Propaganda nicht weiter bringen. »Ehrlich, ich fühle mich viel besser. Mir wird nicht wieder schlecht.«
    Ihre Mutter und ihr Vater tauschen eine ihrer kodierten Augenbotschaften aus, die Clara nicht übersetzen kann.
    Peter zuckt mit den Schultern.
    (»Die Sache mit Dad ist«, hatte Rowan einmal gesagt, »eigentlich kümmert ihn so ziemlich alles einen Scheiß.«)
    Helen fühlt sich ebenso besiegt wie vor ein paar Tagen, als sie die Sojamilch in den Einkaufswagen stellte, während Clara mit Magersucht drohte.
    »Gut, du kannst zur Schule gehen«, sagt sie schließlich. »Aber bitte s ei vorsichtig.«

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    SECHSUNDVIERZIG
    Wenn man ein bestimmtes Alter erreicht hat – manchmal mit fünfzehn, manchmal mit sechsundvierzig –, fällt einem auf, dass jenes Klischee, das man schon so lange aufrechterhält, nicht funktioniert. Genau das passiert Peter Radley im Moment, während er auf einer Scheibe Vollkorntoast mit Butter herumkaut und die zerknitterte Frischhaltefolie anstarrt, in der sich der übrige Laib befindet.
    Der vernünftige, gesetzestreue Erwachsene mit einer Frau, einem Auto und zwei Kindern und regelmäßigen Spenden an WaterAid.
    Er hatte nur Sex gewollt, gestern Nacht. Harmlosen, menschlichen Sex. Und was war Sex? Sex war nichts. Nicht mehr als eine Umarmung mit Bewegung. Eine blutleere Sache mit Körperreibung. Na gut, selbst wenn er sich gewünscht hätte, dass etwas anderes daraus entsteht, hätte er sich beherrschen können. Er hatte sich schließlich siebzehn Jahre lang beherrscht.
    Gut, leck mich, denkt er.
    Es fühlt sich gut an, Fluchen, sogar in den Gedanken. Er hatte im British Medical Journal gelesen, neuste Erkenntnisse ließen darauf schließen, dass man mit dem Akt des Fluchens Schmerzen lindern könnte.
    »Leck mich«, murmelt er, so leise, dass Helen ihn nicht hören kann. »Leck. Mich.«

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    REALISMUS
    »Ich mache mir Sorgen um Clara«, sagt Helen, während sie Peter die Lunchbox reicht. »Sie ist erst seit einer Woche Veganerin und wird eindeutig krank. Was machen wir, wenn das irgendwas auslöst? Wenn alles außer Kontrolle gerät?«
    Er hört sie kaum. Er starrt einfach nur nach unten, in das finstere Chaos seiner Aktentasche.
    »Verflixt viel Müll ist da drin«, murmelt er.
    »Peter, ich mache mir Sorgen um Clara.«
    Peter wirft zwei Stifte in den Abfall. » Ich mache mir auch Sorgen um sie. Ich mache mir sogar große Sorgen um sie. Aber einen Lösungsvorschlag willst du von mir ja wohl nicht hören, oder?«
    Helen schüttelt den Kopf. »Nicht schon wieder, Peter. Nicht jetzt. Die Sache ist ernst. Ich wünschte, wir könnten wenigstens versuchen, uns wie erwachsene Menschen zu benehmen. Ich will wissen, was wir deiner Meinung nach tun sollen.«
    Er seufzt. »Ich
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