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Die Rache

Die Rache

Titel: Die Rache
Autoren: John T. Lescroart
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wohlgesinnt und während der üblichen Arbeitszeit in der Regel schwer aufzufinden. Vorladungen mußten daher meist in den frühen Morgenstunden oder spät in der Nacht präsentiert werden, und die Polizisten, die ihre Zeugen auf diese Art zusammensuchten, nahmen Überstunden in Kauf, weil sie wußten, daß sie so am besten mit ihrer Arbeit vorankamen. Jetzt hatte die Stadt beschlossen, sie dafür nicht länger zu bezahlen.
    Das führte zu den Golfclubs. Die Männer gingen um acht oder neun Uhr aus dem Büro, klopften an die Türen ihrer Zeugen, trafen niemanden an, spielten eine Runde Golf, kehrten zu den Türen zurück, versuchten es wieder, trafen erneut niemanden an, kamen ins Büro zurück und schrieben Berichte über ihren Tag im Außendienst.
    Es machte sie fertig, und jeder wußte das.
    Jess Mendez nickte dem Lieutenant zu und rief über die Schulter. »Hey, Lanier! Wann bist du frei heute?«
    Batiste drehte sich nicht um. Er hörte Lanier hinter sich: »Ich habe noch Vorladungen. Sagen wir, um halb zehn.«
    Abe Glitskys Tisch stand neben dem hinteren Fenster mit Ausblick auf die Straße und die Innenstadt dahinter. Heute morgen aber, um zehn vor acht, gab es überhaupt keinen Ausblick, denn der Tag war grau.
    An Glitskys Tisch lehnte keine Tasche mit Golfschlägern. Er war außerdem einer der beiden einzigen Männer des Kommandos, die ohne Partner arbeiteten. Er und Batiste waren im gleichen Jahr ins Morddezernat gekommen, und keiner von beiden hatte sich einen Dreck um seine Zugehörigkeit zu einer Minderheit geschert – Glitsky war Halbjude und Halbschwarzer, Batiste hatte einen spanischen Nachnamen. Das hatte eine Art Band zwischen ihnen geschaffen.
    Batiste zog sich einen Stuhl heran. »Hast du deine Schläger vergessen, Abe?«
    Glitsky schrieb gerade. Er sah auf. »Eben wollte ich zu dir kommen.«
    »Um Quartett zu spielen?«
    Abe verzog sein Gesicht zu einer Grimasse, die er wohl für ein Lächeln hielt. Er hatte eine Adlernase und eine Narbe, die sich quer über die Lippen zog. Sein Lächeln hatte schon den übelsten Gesellen Geständnisse entlockt. Er mochte irgendwo in seinem Inneren ein netter Kerl sein, aber er sah nicht wie einer aus. »Es freut mich, daß du das lustig findest«, sagte er.
    »Ich finde es nicht lustig.«
    Abe legte den Stift nieder. »Flo und ich denken darüber nach umzuziehen.«
    »Wovon sprichst du?« Das war schlimmer als Golfclubs.
    »Los Angeles sucht Leute. Ich muß vielleicht noch mal beim Einbruchsdezernat anfangen, aber das ginge schon in Ordnung.«
    Batiste beugte sich vor. »Was sagst du da? Wie lange bist du hier – neunzehn Jahre?«
    »Fast, aber das meiste rechnen sie mir an.« Abe deutete auf seinen Schreibtisch. »Ich war gerade dabei, nach den richtigen Formulierungen für den Antrag zu suchen.
›Grund für die Kündigung‹ … Soll ich ›Unglaublicher Pferdescheiß‹ schreiben oder es mit ›bürokratischer Unsinn‹ bei einer anständigen Sprache belassen?«
    Batiste zog sich mit seinem Stuhl näher zum Schreibtisch. »Abe, warte eine Minute.« Er hatte nicht vor, Abe zu sagen, daß er nicht kündigen dürfe – natürlich durfte er kündigen –, aber irgend etwas mußte er sagen. Er legte die Hand über das Papier. »Kannst du nicht eine verdammte Minute warten?«
    Abes Blick war ausdruckslos. »Sicher«, sagte er, »ich kann den ganzen Tag warten.«
    »Du weißt, daß es sich wieder ändern wird.«
    Abe schüttelte den Kopf. »Nein, das weiß ich nicht, Frank. Nicht mehr. Es ist die ganze Stadt. Sie braucht uns nicht, und ich brauche sie nicht.«
    »Sie braucht uns …«
    »Kein Streit jetzt. Ruf mich einfach an, wenn sie es gemerkt hat.« Abe nahm sich das Papier zurück und betrachtete es noch einmal. »›Unglaublicher Pferdescheiß‹«, murmelte er. »Das sagt mehr aus, findest du nicht?«
     
    Hardy parkte am Ende der Allee und stellte die Heizung höher. Der Samurai war luftdurchlässig, durch das Stoffdach pfiff der Wind. Zu beiden Seiten erhoben sich vierstöckige Gebäude, und vor ihm verschwammen der Kanal und die Anlegestellen der Boote im Nebel.
    Kurz vor halb neun. Die Waffe lag – noch geladen – im Handschuhfach. Sie war eingetragen und wahrscheinlich eine der wenigen angemeldeten privaten Schußwaffen in ganz San Francisco. Hardys ehemaliger Schwiegervater, Andy Fowler, war Richter, und als Hardy bei der Polizei aufgehört hatte, hatte er eine Erlaubnis für eine private Waffe beantragt, die auf normalen Wegen in San Francisco
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