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Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Titel: Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
Autoren: Nancy Bilyeau
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ganze Kammer erfüllte, rief Schwester Elizabeth: »Wenn der Rabe das Seil erklimmt, mussder Hund sich in die Lüfte erheben wie der Falke. Wenn der Rabe das Seil erklimmt, muss der Hund sich in die Lüfte erheben wie der Falke.«
    Die Tür flog krachend auf. Die Priorin und Schwester Anne eilten zu Schwester Elizabeth und knieten neben ihr nieder. Bevor die Priorin ihr gewaltsam den Mund öffnete und Schwester Anne ihr ein Stoffknäuel zwischen die Zähne schob, konnte Schwester Elizabeth Barton noch zwei Worte hervorstoßen. Sie drehte den Kopf, und ihr wilder Blick suchte mich, dann rief sie: »Der Kelch …«

Kapitel 2
    Dartford, 2. Oktober 1538
    Zehn Jahre nach diesem Besuch bei der Seherin und zwei Monate vor unserer verzweifelten Mission in Canterbury lag ich eines Dienstagnachts schlaflos in meinem Bett. Ich trauerte um die Vergangenheit und sorgte mich um die Zukunft, obwohl ich keine Ahnung hatte, was kommen würde. Die Ereignisse des folgenden Tages würden mich von Neuem auf den Weg zur Erfüllung der Prophezeiung stoßen, vor der Schwester Elizabeth Barton mich damals gewarnt hatte. Doch in diesem Moment ließ sich nur eins prophezeien: dass wir am kommenden Tag bis zu den Knöcheln in Schlamm waten würden.
    Der Regen hatte um Mitternacht eingesetzt, Stunden nachdem ich in mein Bett gekrochen war. Es war ein schönes Bett, auf vier Holzfüßen, mit einer weichen Matratze, weit annehmlicher als der Strohsack auf dem kalten Steinboden im Novizinnendormitorium von Kloster Dartford, auf dem ich die kurzen, von der Matutin, dem Mitternachtsgebet, unterbrochenen Nächte zugebracht hatte.
    Jetzt störte nichts meine nächtliche Ruhe, trotzdem fand ich, wie in so vielen Nächten zuvor, keinen Schlaf. Ich lauschte dem Regen und den tiefen Atemzügen Arthurs auf der anderen Seite des kleinen Zimmers.
    »Bei dir ist Arthur sicher«, hatte mein Vater im letzten Winter gesagt, als er mich beschworen hatte, für den vierjährigen Arthur, den einzigen Sohn meiner Cousine Margaret, zu sorgen. Sie war tot, und mein Vater, dessen Gesundheit von der Gefangenschaft im Tower und anderen Schrecknissen des vergangenen Jahres völlig zerrüttet war, war ihr bald nachgefolgt.
    In ganz England galt Margaret Bulmer – die uneheliche Tochter meines Onkels, des Herzogs von Buckingham – als schändliche Verräterin, die wegen ihrer Teilnahme an der Pilgerreise der Gnade, der Rebellion der Gläubigen im Norden Englands, in Smithfield auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war. Mir jedoch war sie Vertraute und Freundin meiner Kindheit. Nie würde ich bereuen, dass ich damals das Klausurgebot meines dominikanischen Ordens missachtet hatte, um Margaret in ihrer letzten Stunde beizustehen. Es verstand sich von selbst, dass ich ihren Sohn zu mir nehmen und keiner Menschenseele je die Wahrheit über seine Herkunft verraten würde – dass er nicht das Kind von Margarets angetrautem Mann war.
    Doch Arthur war ein schwieriges Kind, kaum zu bändigen, wenn er sich nicht im Freien bei sportlichen Spielen – Rennen Laufen, Klettern, Ballspiel – austoben konnte. So besänftigend ich das Geräusch des Regens früher immer gefunden hatte, daheim auf Stafford Castle oder später im Kloster; jetzt, als es deutlich stärker wurde, versetzte mich der Gedanke an den kommenden Tag in Unruhe. Wie sollte ich mit Arthur fertig werden, wenn der Regen uns zwang, im Haus zu bleiben? Ich würde meine ganze Kraft brauchen, um ihn im Zaum zu halten. Ich wurde immer rastloser, und die schlaflosen Minuten wurden zu Stunden.
    »Wir dürfen uns nicht dem Selbstmitleid ergeben«, sagte Bruder Edmund oft. Und er hatte recht. Aber mich quälte weniger Selbstmitleid als die verzweifelte Frage, warum Gott dies geschehenließ: die Auflösung der Klöster, die Vernichtung unserer Lebensweise. Ich war immer wieder ermahnt worden, mich dem Willen Christi unseres Herrn zu beugen. Zu meiner Beschämung muss ich gestehen, dass mir das sehr schwerfiel.
    Nach langen Stunden endlich brachte Erschöpfung die Fragen zum Verstummen, und ich fiel doch noch in einen dumpfen Schlaf.
    Arthur, der mich ungeduldig schüttelte, weckte mich kurz nach Sonnenaufgang.
    »Joanna – Hunger.«
    So abgeschlagen ich war, Arthurs helle Stimme – auch wenn er nicht so flüssig sprach wie andere Fünfjährige – und der Anblick seines hübschen runden Gesichts ermunterten mich, dem Tag ins Auge zu sehen. Nachdem ich Arthur angekleidet hatte, nahm ich ihn bei der warmen kleinen Hand und
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