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Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Titel: Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
Autoren: Nancy Bilyeau
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unterschied, unter denen ich aufgewachsen war. Da war keine Geste auf Wirkung ausgerichtet. Die Anmut beruhte allein auf Natürlichkeit und Einfachheit.
    Gleichzeitig überlegte ich, wie ich das Gespräch mit Schwester Elizabeth Barton führen konnte, ohne das Gebot meines Cousins Henry Stafford, des Oberhaupts unserer Familie, zu verletzen. Sein Vater, der dritte Herzog von Buckingham, war damals gefangen gesetzt und mit der Begründung verurteilt worden, er habe die Ermordung des Königs geplant – angeblich durch die Prophezeiungen eines Mönchs verführt. Nach der Hinrichtung seines Vaters hatte mein Cousin wiederholt erklärt, dass nie wieder jemand aus der Familie sich auf Prophezeiungen oder Weissagungen einlassen dürfe. Mein Vater war ganz seiner Ansicht gewesen – er misstraute ohnehin allem, was mit Hellseherei, Hexenkunst und Nekromantie zu tun hatte. Wie in so vielen Dingen waren meine Eltern auch hier gegensätzlicher Meinung.
    Die Priorin klopfte sacht an eine Tür und zögerte einen Moment mit gerunzelter Stirn, ehe sie sie öffnete.
    Der Raum war sehr klein, nicht geräumiger als eine Gesindekammer. Auf dem Fußboden saß, mit dem Rücken zu uns, eine zusammengesunkene Gestalt. Es gab kein Fenster, nur zwei Kerzen rechts und links der Tür spendeten flackerndes Licht.
    »Schwester Elizabeth, kommt Ihr später zur Vesper?«, fragte die Priorin.
    Die Frau auf dem Boden nickte, ohne sich umzudrehen. Zu mir gewandt sagte die Priorin: »Ich bin gleich wieder zurück«, und bedeutete mir einzutreten.
    Nach einem zaghaften Schritt blieb ich stehen, und die Priorin schloss die Tür.
    Schwester Elizabeth trug das gleiche schwarze Habit wie die anderen. Sie drehte sich immer noch nicht um. Ich fühlte mich unsicher, wie ein ungebetener Gast. Die Minuten verstrichen.
    »Dieser Wind bringt keinen Regen.« Die Stimme klang jung.
    »Das ist wahr, Schwester«, sagte ich, erleichtert, dass sie endlich sprach. »Es hat nicht geregnet.« Doch gleich darauf fragte ich mich, woher sie ohne ein Fenster in ihrem Gemach wusste, wie draußen das Wetter war. Eine andere Nonne musste es ihr gesagt haben. Gerade so, wie jemand ihr meinen Namen gesagt hatte – der Mönch, Dr. Bocking, vielleicht. Ich glaubte nicht, dass sie über die besonderen Gaben verfügte, die meine Mutter ihr zuschrieb. Ich war tief gläubig, aber was das Übersinnliche anging, hielt ich es eher mit den Anschauungen meines pragmatischen Vaters.
    Schwester Elizabeth drehte sich, auf dem Boden sitzend, langsam um. Sie sah zart aus, beinahe wie ein Kind. Ihr Gesicht war länglich, mit einem leicht abfallenden Kinn.
    Ihre Augen wurden traurig, als sie mich betrachtete. »Ich habe nicht gewusst, dass Ihr noch so jung seid«, sagte sie leise.
    »Ich bin siebzehn«, erwiderte ich. »Ihr scheint nicht älter zu sein.«
    »Ich bin zweiundzwanzig«, sagte sie. »Ihr seid klug, fromm, stark und schön. Und von Adel. Ich bin nichts von alldem.« Keine Spur von Neid lag in ihrer Stimme. Es hörte sich an, als zählte sie eine Reihe von Waren auf.
    Ohne auf diese Beurteilung, die ich peinlich fand, einzugehen, fragte ich: »Wie könnt Ihr sagen, dass Ihr nicht fromm seid, wenn Ihr doch eine Braut Christi seid?«
    »Gott hat mich erwählt«, antwortete sie. »Ich war eine Dienstmagd, ohne Bedeutung in dieser Welt. Er hat mich auserwählt, die Wahrheit zu sprechen. Ich habe keine Wahl. Ich muss mich Seinem Willen beugen. Bei Euch ist es anders. Euch führt echte innere Berufung.«
    Schwester Elizabeth Barton schien mir verwirrt zu sein. »Ich bin keine Nonne.«
    Sie runzelte plötzlich die Stirn, als ob sie einer anderen Stimme lauschte. Sehr langsam stand sie auf. Sie war schmächtig und mindestens drei Zoll kleiner als ich.
    »Ja, es werden zwei Kardinäle kommen«, sagte sie. »Noch ehe ein Monat vorüber ist. Und ihr Weg nach London wird sie durch Canterbury führen. Ich muss versuchen, mit ihnen zu sprechen. Ich muss den Mut finden, vor die höchsten und mächtigsten Herren des Landes zu treten.«
    Meine Mutter hatte nichts davon gesagt, dass Schwester Elizabeth das Kloster verlassen würde, um vor die Mächtigen zu treten. »Warum solltet Ihr das tun?«, fragte ich.
    »Um ihnen Einhalt zu gebieten.«
    Ich war hin und her gerissen, einerseits kitzelte mich die Neugier, andererseits befiel mich wachsendes Unbehagen. Nichts Böswilliges ging von dieser zarten Person aus, dennoch weckten ihre Worte Unruhe in mir.
    Schließlich siegte die Neugier. »Wem müsst Ihr
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