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Die Probe (German Edition)

Die Probe (German Edition)

Titel: Die Probe (German Edition)
Autoren: H. J. Anderegg
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zweifelnden Blick zu und startete den Motor. Hinter dem halbgeschlossenen Rollladen des Bürofensters beobachtete Senhor de Souza die Abreise mit gemischten Gefühlen. Die hartnäckige Fragerei des Fremden hatte ihn alarmiert. Er witterte Gefahr. Es war nicht mehr zu vermeiden, seine Vorgesetzten zu informieren. Ärgerlich stampfte er in sein Arbeitszimmer zurück. Er hatte noch drei Stunden Gnadenfrist, dann würde der Boss sein Büro in Osaka betreten.
    Schon eineinhalb Stunden fuhren sie nun auf der holprigen, schmierigen Piste durch den Regenwald. Stellenweise kamen sie nur im Schritttempo voran. Hätte Miguel nicht die Kunst beherrscht, jeden noch so schmalen Zwischenraum zwischen den Schlaglöchern auszunutzen, wären sie wohl schon längst steckengeblieben. Zudem prasselte seit einer Viertelstunde ein tropischer Regen mit ohrenbetäubendem Lärm aufs Blechdach des Wagens, als müsste die Gegend dringend bewässert werden. Charlie hielt sich krampfhaft an Türgriff und Armaturenbrett fest, um die Stöße zu dämpfen. Seine Glieder schmerzten. Er war schon todmüde, starrte aber weiter verbissen nach vorn, ließ sich nicht beirren durch die häufigen fragenden Seitenblicke seines Fahrers. Fünf Minuten später hörte der Regen so plötzlich auf, wie er angefangen hatte. Die bereits tief im Westen stehende Sonne ließ die obersten Baumwipfel leuchten und das gleichmäßige Keuchen des gequälten Motors hörte sich an wie die wohltuende Stille der gezähmten Brandung nach einem schweren Sturm. Miguel hielt den Wagen an und sagte:
    »Hier irgendwo müsste die Abzweigung sein.« Er kramte die Landkarte aus der Seitentasche. »Es führt ein Bach neben einem Sträßchen zum Fluss hinunter. Wenn wir Glück haben, ist der Bach hier eingezeichnet.« Nach einer Weile schüttelte er verärgert den Kopf und schimpfte: »Diese Dinger sind das Papier nicht wert. Außer dem Fluss und der Strasse ist kaum etwas zu sehen.« Charlie hievte seinen Rucksack vom Rücksitz und suchte in der Außentasche nach dem Gerät, das ihn auf allen Reisen begleitete. Er schaltete den kleinen GPS-Empfänger ein und wartete, bis er sich auf die Satellitensignale eingestellt hatte. Miguels Karte enthielt immerhin ein brauchbares Koordinatennetz. Nach kurzem Suchen zeigte er auf einen Punkt und sagte:
    »Wenigstens wissen wir jetzt, wo wir sind.« Der Fahrer betrachtete die Stelle stirnrunzelnd, dann hellte sich sein Gesicht plötzlich auf. Triumphierend deutete er auf eine Bucht in der Nähe ihres Standortes.
    »Da muss es sein! Das Dorf liegt an einer solchen Bucht.« Charlie schien diese Ortsbestimmung mehr als zweifelhaft, denn es gab hunderte solcher Buchten am Rio Madeira.
    »Na, dann los«, murmelte er ohne Begeisterung. »Höchstens noch fünfhundert Meter bis zur Abzweigung.« Beide hielten angestrengt nach einer Lücke im dichten Gehölz zu ihrer Rechten Ausschau.
    »Da!« Miguel hielt an und stieg aus. Es war nichts von einem Weg zu sehen, doch zeigte auf ein paar umgestürzte Bäume. »Die Strasse ist versperrt, aber ich sehe den Graben mit dem Bach. Hier geht‚s zum Dorf hinunter, certo, Senhor!«
    »Ausgezeichnet, Miguel. Ich werde versuchen, auf diesem Weg ins Dorf zu gelangen. Bleiben Sie bitte solange hier.« Charlie steckte eines der Funkgeräte ein, die zur Ausrüstung des Wagens gehörten und öffnete die Tür. »Wir bleiben in Verbindung.«
    Nachdem er das Hindernis am Anfang des Pfads überwunden hatte, kam er erstaunlich schnell voran. Es war höchste Zeit, denn die Dämmerung würde bald einsetzen, und die dauerte höchstens eine halbe Stunde in diesen Breitengraden. Nachher herrschte dunkle Nacht, die er nicht unbedingt in der Gesellschaft von hungrigen Jaguaren verbringen wollte. Das Blattwerk lichtete sich und gab den Blick auf den großen Fluss frei. Ein paar Schritte vor ihm führte der Weg direkt ins Wasser. Das Hochwasser hatte die Bucht in einen riesigen See verwandelt, in dem die Bäume steckten, als wäre der Wald versunken. Vielleicht hundert Meter weiter ragten vier grobe Holzhütten auf Stelzen aus dem Wasser, unmöglich, sie auf dem Landweg zu erreichen.
    Er beobachtete die kleine Siedlung eine Weile durch das Fernglas. Er sah zwar keine Menschen, aber Rauch stieg auf. Kein Zweifel, die Häuser waren bewohnt. Er musste sich irgendwie bemerkbar machen. Während er sich noch das Hirn zermarterte, wie er das anstellen sollte, tauchte plötzlich ein Kanu zwischen den Bäumen auf. Die beiden jungen Burschen im Boot
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