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Die Probe (German Edition)

Die Probe (German Edition)

Titel: Die Probe (German Edition)
Autoren: H. J. Anderegg
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Unermüdlich knirschte, brummte, rumpelte und grollte die verfluchte Mühle weiter. Das einzige Werkzeug, das Charlie in die Hände fiel, war ein Besen mit viel zu kurzem Stiel. Zehn Meter; Ryan war höchstens noch zehn Meter von der Hölle entfernt!
    »Leg dich flach, versuch’s seitwärts!«, schrie er seinem Freund entgegen, ohne zu wissen, was das nützen sollte. Er konnte dem verzweifelten Ryan nicht helfen von hier oben. Es musste einen anderen Weg geben, und plötzlich wusste er, was zu tun war. Schneller als je flitzte er zur Hütte am Kraterrand, stürmte außer Atem ins Gebäude und rief mit letzter Kraft, so laut er konnte: »Hilfe, Maschine stoppen! Ryan ist im Trichter!« Der Hilferuf verhallte ungehört. Es war niemand in der Hütte. Blind vor lauter Tränen und nackter Angst hätte er beinahe die Eisentreppe übersehen, die von der Mitte des Raums unter die Erde führte. Laut schreiend stürzte er die Stufen hinunter, riss die Metalltür auf, die ihm den Weg versperrte, und stand endlich im Kontrollraum vor dem völlig verdutzten Maschinisten.
    »Was fällt dir ein, junger Mann? Du hast mich beinahe zu Tode erschreckt! Raus hier, das ist kein Spielplatz.« Stotternd, schwer keuchend und hustend versuchte Charlie, dem Mann klarzumachen, dass er die Maschine sofort anhalten musste. Vielleicht war der Gute schwerhörig, oder sein Gestammel wirklich unverständlich, jedenfalls schüttelte der Arbeiter nur den Kopf, zeigte auf die Tür und sagte streng: »Raus!« Aber er ließ nicht locker, schrie, schnaubte und hechelte weiter aus Leibeskräften und versuchte dem Alten klarzumachen, dass dieses Ungeheuer seinen Freund in der nächsten Minute auffressen würde. Langsam, viel zu langsam, schien dem Mann ein Licht aufzugehen, aber da hatte Charlie den großen roten Knopf am Steuerpult schon gesehen. ›Emergency Halt‹ stand in Riesenlettern darunter. Ohne eine Sekunde zu zögern hieb er auf den Knopf. Eine Alarmsirene heulte auf, zerriss ihm beinahe das Trommelfell, und alle Kontrolllampen schienen gleichzeitig zu blinken. Ungläubig starrte der Maschinist auf das Chaos, dann auf den Bengel, der ihm diese Suppe eingebrockt hatte. Charlie stand wie angewurzelt mit offenem Mund vor dem roten Knopf. Sein Herz raste und der glühend heiße Kopf schmerzte. Er hörte kaum ein Wort der Gardinenpredigt, zu der der wütende Mann ansetzte, und er sah auch die Hand nicht, die plötzlich auf seine Backe zuflog. Die Backpfeife schmerzte zwar, aber es störte ihn nicht weiter. Alles was zählte war, dass der Boden zu zittern aufgehört hatte und das unheimliche Brummen verstummt war. Endlich schaffte er es, seine Geschichte zusammenhängend zu erzählen. Der Mann stieg mit ihm nach oben. Vom Rand des Trichters aus sahen sie Ryan zu, wie er langsam und vorsichtig den Abhang hinauf kletterte.
    »Dich kenne ich. Du bist der kleine Hogan!«, rief der alte Mann, als Charlies Freund mit sichtlich weichen Knien, weinend und kreidebleich vor ihnen stand. »Wartet ihr beiden. Das wird ein Nachspiel haben. Ich glaube nicht, dass eure Eltern besondere Freude an eurem Ausflug haben werden. Ihr habt gesehen, wie gefährlich es hier ist, und jetzt haut ab und lasst euch nie wieder blicken!« Die beiden Jungen ließen sich das nicht zweimal sagen, rannten ohne sich nochmals umzuschauen davon, als wäre ihnen der Leibhaftige auf den Fersen. Erst bei der Kirche am Fluss hielten sie an. Schwer atmend, vornüber gebeugt, die Hände auf den Knien, lehnte Charlie an der Mauer und keuchte:
    »Scheiße, Kumpel, das war knapp.«
    »Mann, warum müssen die Blödiane diese Mühle laufen lassen, an einem Freitagabend?« Er schaute Charlie verärgert ins Gesicht, als müsste der die Antwort wissen. Dann schien ihm mit einem Mal bewusst zu werden, was er eben erlebt hatte. Er sank kraftlos zu Boden und murmelte kaum hörbar: »Danke, Mann.«
    »Meinst du, der verpfeift uns?« Ryan zuckte die Achseln.
    »Dann möchte ich nicht mehr in meiner Haut stecken. Mein Alter ist imstande und gibt mir für den Rest des Lebens Hausarrest!« Charlie fühlte, wie Panik in ihm aufstieg. Nicht auszudenken, was mit ihnen geschehen würde, sollten die Eltern je die ganze Wahrheit erfahren. Sie beide hätten wohl das letzte Mal zusammen gespielt. Er konnte sich ein Leben ohne die gemeinsamen Abenteuer schlicht nicht vorstellen. Seine Zukunft sah sehr, sehr düster aus.
    »Wir streiten einfach alles ab«, sagte Ryan unvermittelt.
    »Wie meinst du das? Er hat uns doch
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