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Die Poison Diaries

Die Poison Diaries

Titel: Die Poison Diaries
Autoren: Maryrose Wood
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kleine Steinhäuschen, in dem wir leben. Er zieht auch andere Pflanzen, in einem geheimen, mit hohen Mauern umschlossenen Garten, zu dem ein massives Tor aus schwarzem Eisen führt. Das Tor wird von einer schweren Kette und einem Vorhängeschloss gesichert, das größer ist als meine Faust.
    Als ich klein war, mahnte Vater jeden Morgen und jeden Abend, dass ich mich niemals dem verschlossenen Garten nähern dürfe. Ich hatte schließlich so viel Angst, dass mich jede Nacht im Schlaf die Schlangen jagten. Die Körper der Schlangen bestanden aus dicken Metallgliedern, und ihre riesigen Mäuler schnappten auf und zu wie ein Vorhängeschloss. Wie schnell ich auch rannte, sie bissen mir in die Fersen. Schließlich fragte ich Vater:
    »Warum lässt man Pflanzen wachsen, die hinter hohen Mauern gefangen gehalten werden müssen? Warum kümmert man sich nicht nur um die guten Pflanzen und lässt die bösen vertrocknen und sterben?«
    »Pflanzen sind Teil der Natur. Sie sind weder gut noch schlecht«, erwiderte er und zog mich auf seine Knie. »Es ist das, wofür wir sie benutzen, was den Ausschlag gibt. Dieselbe Pflanze, die ein unschuldiges Mädchen wie dich krank machen und töten kann, kann – wenn sie in der entsprechenden Dosis verabreicht wird – eine Medizin sein, mit der man eine junge Frau vom Typhus heilt oder ein Baby von den Masern.«
    »Aber warum hast du diese anderen Pflanzen dann abgesondert?«, wollte ich wissen.
    »Wegen dir, Jessamine. Weil du noch ein Kind bist. Bis du älter bist und besser weißt, was du berühren und kosten darfst und was nicht, halte ich die mächtigsten Pflanzen unter Verschluss, hinter dem schmiedeeisernen Tor und der hohen Mauer, wo sie dir nicht schaden können.«
    »Du musst den Apothekergarten nicht abschließen, Vater.« Ich schmollte wie ein kleines Kind, aber schließlich war ich das ja auch. »Wenn du mir sagst, dass ich nicht hineingehen soll, werde ich es gewiss nicht tun.«
    »Wenn du es gewiss nicht tun wirst«, sagte er mit einem Lächeln auf den Lippen, »dann wird dich das Vorhängeschloss am Tor auch nicht im mindesten stören.«
    Ich habe noch nie einen Disput mit Vater gewonnen, obwohl ich es immer wieder versuche.
    Ich schütte noch Kohlen aufs Feuer und zünde mir eine neue Kerze an, in deren Licht ich nähen will. Es ist noch mitten am Nachmittag, aber der Himmel ist von dichten Wolken verhangen. Der Tag ist trüb, als wäre der Abend schon nah.
    Vater arbeitet gewiss hart, wo immer er auch sein mag. Ich hoffe, es ist kein Kind, zu dem er gerufen wurde. Nicht, dass ich bei Krankheiten einen schwachen Magen hätte. Im Gegenteil: Ich würde Vater am liebsten immer begleiten, wenn er zu einem Krankenbesuch geht. Dann schaue ich zu, wie sich Männer auf ihren Betten hin und her wälzen, wenn sie gegen ein fürchterliches Fieber ankämpfen, oder wie Frauen stöhnend und grunzend in den Wehen liegen und die Babys aus ihren Leibern pressen, während Vater die Medizin mischt, um ihre Leiden zu mindern.
    Aber hier auf dem Hof gibt es so viel zu tun, besonders jetzt, wo der Frühling vor der Tür steht. Da ich mittlerweile alt genug bin, um den Haushalt zu führen und mich um den Garten zu kümmern, besteht Vater meistens darauf, dass ich zu Hause bleibe.
    So sitze ich hier einsam und allein, und nur mein Nähkorb und die nassen Samenkinder meiner schönen Dame leisten mir Gesellschaft. Ein feuchter, schattiger Platz an der Steinmauer des Gartens ist genau der richtige Ort für die Belladonna-Pflanze. So sagt es Vater; ich habe sie noch nie mit eigenen Augen wachsen gesehen. Denn es ist mir noch immer nicht gestattet, den Apothekergarten zu betreten. Vater ist so stur wie ein Fels und will seine Meinung einfach nicht ändern: Es ist zu gefährlich. Ich bin zu jung. Ich weiß noch nicht genug. – Aber ich will lernen. Im Augenblick bin ich damit zufrieden, durch Vaters Bücher zu blättern und die Pflanzen zu studieren, die er aus dem Garten ins Haus bringt.
    Daher kenne ich auch die Belladonna-Beeren. Jeden Herbst pflückt Vater die glänzenden, tintenschwarzen Früchte und legt sie in ein Glas ein, das er auf dem obersten Regalbrett in seinem Arbeitszimmer aufbewahrt. Gegen Ende des Winters holt er ein paar heraus und schneidet sie vorsichtig auf, um die Samenkörner zu entnehmen.
    In diesem Jahr hat er mir zum ersten Mal die Samen zur Pflege und zur Vorbereitung auf die Pflanzung anvertraut. »Denk daran, Jessamine«, warnte mich Vater, »du ziehst eine Horde von
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