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Die Poison Diaries

Die Poison Diaries

Titel: Die Poison Diaries
Autoren: Maryrose Wood
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Mördern groß.«
    Das ist Vaters Vorstellung von einem Scherz, aber ich weiß, dass ich die Warnung nicht in den Wind schlagen darf. Wenn ich das Einweichwasser wechsele, trage ich Handschuhe und achte sorgsam darauf, nicht mit den Fingern meine Lippen oder Augen zu berühren. Wenn ich fertig bin, wasche ich meine Hände zweimal mit Seifenlauge und werfe die Handschuhe in eine Schüssel mit Bleiche. Auf den Eimer, in dem die Samen in dem frischen Wasser liegen, lege ich einen Deckel, binde ihn mit einer starken Schnur fest und hänge ein Schild mit der Aufschrift GIFT daran.
    Das tue ich selbst dann, wenn ich allein bin – so wie jetzt. Man weiß nie, auf welche Ideen ein Landstreicher mit einer trockenen Kehle auf der Suche nach einem erfrischenden Schluck Wasser kommt! Selbst jene, die nicht lesen können, werden bei dem Schild und der Schnur stutzig werden. Wenn sie beides ignorieren, ist es ihre eigene Schuld.
    Dann bringe ich das alte Einweichwasser weit weg vom Haus zu einer schlammigen, zugewucherten Grube. Ich habe mir extra einen Ort ausgesucht, der so dicht mit Brombeerranken und Stechginster zugewachsen ist, dass weder die Rinder und Schafe des Herzogs noch herumstreunende Menschen auf die Idee kämen, aus diesem Weiher zu trinken.
    Letzte Woche habe ich in der Nähe der Schlammgrube eine tote Katze gefunden. Aber ich glaube, sie ist an etwas anderem gestorben. Trotzdem begrub mein Vater den Kadaver sofort, nachdem ich ihm davon erzählt hatte. Und das, obwohl Vater Katzen nicht leiden kann.
    Er legte die Katze in ein Loch, das tiefer ausgehoben war als das Grab eines Menschen. Die Katze war klein, mit einem weichen, orange gestreiften Fell. Ich weiß, dass es weich war, weil ich sie gestreichelt habe, um Lebewohl zu sagen, aber der Körper war kalt und steif und Vater verbot mir, ihn anzufassen.
    Ich sprach auch ein stummes Gebet, als Vater das Loch wieder mit Erde auffüllte. Schon bald war kein Schimmer des orangefarbenen Fells mehr zu sehen. Nur eine leichte Vertiefung im Boden bezeichnete die Stelle, und nach vierzehn Tagen würde auch sie von Ranken überwuchert sein.
    »Es passiert selten, dass ein Tier ein solches Begräbnis erhält«, bemerkte Vater, wischte sich den Schweiß ab und stützte sich auf den Spaten. »Glückliche Katze.«
    Ich glaube, dass die Katze glücklicher gewesen wäre, wenn sie am Leben geblieben wäre. Andererseits ist das Leben für ein herumstreunendes Geschöpf, das niemand haben will, nicht einfach. Möglicherweise hat Vater doch recht.
    Wir brauchen keine Katze. Wir haben andere Möglichkeiten, die Mäuse aus dem Haus zu treiben.
    Vater lacht immer, wenn ich Hulne Abbey als unser »Haus« bezeichne.
    »Es ist eine Ruine, ein Trümmerhaufen, nichts als eine Ansammlung wettergegerbter, moosüberwucherter Steine«, verbessert er mich dann. Aber dies ist das einzige Heim, das ich kenne, und wer wollte sich schon in einer Ruine zu Hause fühlen? Vater übertreibt. Das Gemäuer, in dem wir leben, ist kein Trümmerhaufen, obwohl es viele Jahrhunderte alt ist. Es ist nicht groß, aber es wirkt weitläufig. In meinen Augen besitzt es sogar eine gewisse Würde.
    Und das ist auch kein Wunder. Vater sagt, dass unser Haus früher die Kapelle war, in jenen längst vergangenen Tagen, als das alte Kloster noch auf diesem Land stand. Die Nebengebäude und Höfe, die zu dem Kloster gehörten, erstreckten sich meilenweit in die umliegenden Hügel, bis zu jener Stelle, wo die Äcker enden und der Wald beginnt. Fünfhundert Jahre lang ernährte diese fruchtbare Erde unzählige Menschen und Tiere. Alles wimmelte vor Leben. Aber das ist lange her. Jetzt wohnen Vater und ich in der Kapelle; der Rest des Klosters ist längst verfallen und alle Papisten sind nach Irland und Frankreich geflohen. Manchmal, bei schönem Wetter, lege ich mich in das Gras einer nahe gelegenen Wiese. Ich schließe die Augen und versuche, mir jenen entsetzlichen letzten Tag vorzustellen, die Stunden, bevor das alles zerstört wurde. Aber nicht einmal der Großvater der ältesten in Alnwick lebenden Person war zu jenen Tagen geboren. Niemand kann mir erzählen, was es für ein Gefühl war, sich am Waldrand zu verstecken, wie ich es getan hätte, und gebannt und zugleich voller Schrecken zuzusehen, wie des Königs Soldaten die uralten Gebäude in Schutt und Asche legten und dann die flüchtenden Mönche jagten und wie Hasen niedermachten.
    Vater sagt oft, er wünschte, die Soldaten hätten die Kapelle zerstört und
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