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Die Poison Diaries

Die Poison Diaries

Titel: Die Poison Diaries
Autoren: Maryrose Wood
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Pflanzenbücher abzeichnen soll. Diese Bücher füllen viele Regalbretter in seinem Arbeitszimmer, aber nicht ein einziges enthält die Formeln seiner Arzneien. Dieses Wissen ist geheim. Die Rezepturen der Wässer und Tinkturen, der Salben und Öle, der Räucherwerke und Pulver für Umschläge sind in einem ledergebundenen Buch niedergeschrieben, das er in der verschlossenen unteren Schublade seines Sekretärs aufbewahrt. Ich habe es erst ein einziges Mal gesehen, vor vielen Jahren, und auch nur deshalb, weil ich unaufgefordert das Zimmer betrat, während er darin schrieb – was er mir hinterher streng verbot:
    Ohne anzuklopfen stürzte ich hinein und blieb im Türrahmen stehen – ein atemloses, großäugiges Mädchen mit schlammbespritzten Waden und einem fünfbeinigen Frosch in der Hand.
    »Schau mal, Vater! Ich fand ihn in einer Pfütze am Fuß der Mauer, bei dieser großen Steinmauer, hinter der sich der Apothekergarten verbirgt. Hast du schon jemals ein so merkwürdiges Geschöpf gesehen? Wird es überleben? Soll es überleben?«
    Sobald er meiner ansichtig wurde, schob er das Buch in die Schublade, schloss sie ab und steckte den Schlüssel ein.
    »Lass ihn frei, Jessamine.« Seine Augen blieben auf den Sekretär geheftet, als ob er mit seinem Blick zwei Löcher in das Holz brennen wollte. »Das Schicksal des Froschs hat dich nicht zu kümmern.«
    ***
    Ich sehe zwei Männer in der Ferne, aber keiner von ihnen ist Vater. Der eine ist zu klein und der andere zu dick. Es sind die Wesley-Prediger, zwei großmäulige Vertreter einer der Sekten hierzulande. Früher kamen sie hin und wieder zu uns, traten in ihren langen Mänteln und den merkwürdig aussehenden Hüten vor unsere Tür und sangen: »Das Ende der Welt ist nah!«
    Ehrlich gesagt finde ich sie lustig. »Das Ende der Welt« – was für eine Vorstellung! Als ob man daran irgendetwas ändern könnte. Es wäre gewiss besser, überhaupt nichts darüber zu wissen.
    Ich glaube allerdings nicht, dass die Prediger uns heute einen Besuch abstatten wollen. Das letzte Mal, als sie auftauchten, wies Vater sie barsch zurecht: »Dass wir in absehbarer Zeit das Jahr achtzehnhundert schreiben anstatt siebzehnhundertundirgendwas ist eine einfache Tatsache des gregorianischen Kalenders. Das ist ein neues Jahrhundert, kein Vorbote des Jüngsten Gerichts!«, donnerte er. »Nehmen Sie Ihren Aberglauben und machen Sie, dass Sie wegkommen!«
    Seitdem haben sie nicht mehr an unsere Tür geklopft.
    Ich schaue den beiden Gestalten durch das Fenster nach, wie sie am Fuß des einen Hügels in einem Tal verschwinden und kurz darauf wieder auftauchen, weil der Pfad einen weiteren Hügel hinaufsteigt. Vater allerdings ist nirgends zu sehen.
    ***
    Ich erwache in Vaters Sessel, demjenigen, der dem Kamin am nächsten steht. Ich wollte nicht einschlafen, aber nach einer Stunde Näharbeit erlaubte ich meinen Augen eine kleine Ruhepause. Jetzt steht die wolkenverhangene Sonne schon dicht über dem Horizont, und das Hemd mit dem eingerissenen Saum, das ich gerade geflickt habe, ist mir vom Schoß auf den staubigen Boden gefallen.
    Vater ist noch immer nicht zu Hause. Kann ihm ein Unglück widerfahren sein? Allein der Gedanke an diese Möglichkeit lässt mir die Brust eng werden, als ob mir ein schweres Seil um den Oberkörper gelegt worden wäre, an dem jetzt jemand mit aller Macht zieht, bis ich kaum noch atmen kann.
    Wenn Vater etwas zustieße, wäre ich wirklich und wahrhaftig allein.
    Ich wäre allein in einem Haus, das einmal eine Kapelle war, allein mit den Gärten und den Ruinen und den Geistern der toten Mönche, die womöglich immer noch auf den Feldern umgehen. Vielleicht würde ich niemals wieder Gelegenheit haben, auch nur ein Wort zu sprechen.
    Es sei denn, ich verlasse diesen Ort.
Ich könnte es tun
, denke ich,
wenn Vater ein Unglück zustoßen würde.
    Warum nicht? Ich könnte Hulne Abbey dem endgültigen Verfall überlassen und die Gärten verwildern lassen. Eines Tages, nach vielen Jahren voller Schnee und Regen, würde das eiserne Vorhängeschloss, mit dem das schwarze Tor zum Apothekergarten gesichert ist, durchgerostet sein und auseinanderfallen. Die schwere Kette würde zu Boden gleiten, und die tödlichen Pflanzen könnten ungehindert ihren Marsch über die Welt antreten …
    Was für närrische Gedanken. Ich bin es gewohnt, allein zu sein, und es ist lächerlich, sich Sorgen zu machen. Vater geht es gut. Ich bin mir ganz sicher. Er ist viel zu klug und viel zu
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