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Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition)

Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition)

Titel: Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition)
Autoren: Lori Handeland
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Gabe, die auch ein Fluch ist.
    Er drückte sich im Dunkel des Zimmers herum, und ich wollte Licht machen. „Lass es lieber“, murmelte Jimmy.
    Jetzt konnte ich nicht länger herumliegen. Ich schwang die Beine über die Bettkante. Mir ging es gut. Sehr gut eigentlich. Ausgeruht und aufgedreht. Dass man sich nach vier Tagen im Land des Vergessens so fühlt, hätte ich nicht gedacht.
    Wegen der Schläuche und Kabel konnte ich nicht richtig aufstehen, also riss ich sie heraus. Bei dem Katheter tat das höllisch weh.
    Sobald ich aus dem Bett war, knipste ich die Nachttischlampe an. Befehle entgegenzunehmen war noch nie meine Stärke gewesen, und besonders nicht, wenn sie von Jimmy kamen.
    Entlang der abgenutzten Fliesen setzte sich der Schein der Lampe fort und spendete gerade genug Licht, um wenigstens ein bisschen von ihm erkennen zu können. Er hatte ein Veilchen vom Feinsten.
    „Oh Jimmy.“ Ich wollte sein Gesicht berühren.
    Er hingegen war klug genug, einen Schritt zurückzutreten. „Baby, wenn du da weitermachen möchtest, bevor du mich damals an die Luft gesetzt hast, fände ich das großartig. Aber im Moment bin ich gerade so ganz nebenbei damit beschäftigt, am Leben zu bleiben.“
    „Nenn mich ja nicht ‚Baby‘.“ Meine Hand ballte sich zur Faust. „Du wirst mich nie wieder ‚Baby‘ nennen.“
    Ich war selbst überrascht, wie viel Schmerz in meiner Stimme mitschwang. Dachte, ich hätte ihm verziehen. Pech gehabt.
    Er seufzte: „Schon gut. Aber fass mich bitte nicht an. Ich…“ Er brach ab und fuhr sich durch das Haar. Es war länger, als ich es in Erinnerung hatte, aber immer noch genauso schwarz und glatt zurückgekämmt. „Nicht so wichtig.“
    Alles an ihm war dunkel: seine Augen, seine Kleidung und sein Herz. Selbst im tiefsten Winter war seine Haut gebräunt, was wohl auf eine sehr gemischte Herkunft schließen ließ, aber so genau wusste er es nicht. Seine Eltern hatten ihn loswerden wollen, wie meine mich auch. Wer sie waren, wussten weder er noch ich.
    Trotz des Veilchens, vielleicht auch gerade deshalb, sah er ganz unverändert aus. Verdammt gut. Jimmy Sanducci war eine echte Augenweide, schon immer gewesen. Nur deshalb hatte er auf der Straße so lange überlebt.
    Er hatte Dinge getan, von denen ich nichts wusste und auch nichts wissen wollte. Auch ich hatte meine Leichen im Keller. Erst wenn man einer Ratte vor Hunger den Müll aus dem Maul gerissen hat, weiß man, wozu man fähig ist. Jimmy und ich, wir wussten es beide. Wir waren aus dem gleichen Holz geschnitzt.
    „Hast du es getan?“, fragte ich ihn.
    Seine schwarzen Augen blitzten mich kampflustig an.
    „Du kannst mich mal.“
    „In diesem Leben nicht. Oder jedenfalls nicht wieder.“
    „Scheiße, warum bin ich überhaupt hergekommen?“
    Er wandte sich zum Gehen. Ich versperrte ihm den Weg. „Warum bist du hier?“
    „Lizzy“, sagte er warnend.
    Jimmy war der Einzige, der mich so nennen durfte. Für alle anderen war ich Elizabeth, höchstens Liz, aber nur für die, die mich sehr gut kannten. Aber Lizzy? Das wagte keiner.
    „Hast – du – es – getan?“ Bei jedem Wort trat ich einen Schritt auf Jimmy zu, und er machte einen zurück, bis er mit den Schultern die Wand berührte.
    Am liebsten hätte er mich geschlagen, das war ihm deutlich anzumerken. Aber wenngleich er einige unverzeihliche Dinge getan hatte, eine Frau würde er niemals schlagen, und mich schon gar nicht. Ich schlug nämlich zurück. Das hatte ich ihn mit zwölf Jahren recht unsanft fühlen lassen.
    Bei dem Gedanken an unsere erste Begegnung musste ich unweigerlich lächeln. Er hatte damals schon zwei Jahren lang bei Ruthie gelebt. Ich kam frisch aus einer anderen Pflegefamilie, die mich nicht hatte behalten wollen.
    Ich war voller Wut und mit meinen zwölf Jahren nicht nur größer als die meisten anderen Kinder, sondern auch schon viel weiter entwickelt, was mich mit Scham erfüllte. Meistens trug ich weite, unförmige Sachen, zog die Schultern hoch und ließ die Haare ins Gesicht hängen. Auf der Straße und im Heim wollte man möglichst wenig Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Und ein Mädchen mit meinen Fähigkeiten wollte erst recht keine Aufmerksamkeit.
    „Worüber lachst du?“ Jimmy lehnte sich gegen die Wand, als brauche er eine Stütze. Wer weiß, vielleicht gab es da noch mehr blaue Flecken?
    Immer.
    „Ich musste gerade daran denken, wie ich dir das erste Mal den Hintern versohlt habe.“
    Er neigte den Kopf, und eine lange Haarsträhne fiel
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