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Die Pforten Des Hades

Die Pforten Des Hades

Titel: Die Pforten Des Hades
Autoren: Steven Saylor
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Armen auf der Schwelle stehen. Strahlend und hellwach grinste ei mich mit dem überlegenen Lächeln eines Frühaufstehers an. Er hatte seine militärische Kluft angelegt, eine lederbesetzte rote Leinentunika unter einem Panzerhemd.
    »Wie spät ist es?«
    »Zwei Stunden nach Mittag. Oder wie man an Land sagt, die neunte Stunde des Tages. Seit du gestern nacht auf dieses Lager gefallen bist, hast du ohne Pause geschnarcht und geschlafen.« Er schüttelte den Kopf. »Auf einem so weichen Bett sollte ein echter Römer gar nicht schlafen können. Ich sage immer, diesen Firlefanz sollten wir lieber den modischen Ägyptern überlassen. Ich hatte schon befürchtet, du wärst todkrank, aber Tote schnarchen nicht, wie man mich beruhigt hat, so daß es wohl doch nichts Ernstes sein konnte.« Er lachte, während ich mich an der grausamen Fantasie ergötzte, ihn auf einem ägyptischen Speer aufgespießt zu sehen.
    Ich schüttelte erneut den Kopf. »Wie lange noch? Müssen wir auf diesem Schiff bleiben, meine ich?«
    Er runzelte die Stirn. »Damit würde ich mich doch verraten, oder nicht?«
    Ich seufzte. »Laß mich die Frage anders formulieren: Wie lange brauchen wir noch bis Baiae?«
    Mummius sah auf einmal ganz seekrank aus. »Ich habe nie gesagt -«
    »Nein, das hast du tatsächlich nicht. Du bist ein guter Soldat, Marcus Mummius, und du hast mir nichts verraten, das geheimzuhalten du geschworen hast. Trotzdem würde ich gerne wissen, wann wir in Baiae ankommen.«
    »Wieso denkst du -«
    »Genau das ist es, Mummius, ich denke. Ich wäre wohl kaum der Mann, nach dem dein Auftraggeber schicken läßt, wenn ich nicht ein so simples Rätsel wie die Frage unseres Zielorts lösen könnte. Zunächst einmal fahren wir zweifelsohne gen Süden; ich bin zwar kein großer Seemann, aber selbst mir ist bewußt, daß die Sonne im Osten auf- und im Westen untergeht, und da die Nachmittagssonne zu unserer Rechten und die Küste zu unserer Linken liegt, schließe ich, daß wir nach Süden segeln. Nimmt man jetzt noch die Tatsache, daß du mir versprochen hast, daß mein Auftrag in fünf Tagen beendet sein wird, können wir Italien wohl kaum verlassen. Wohin also sollte die Reise gehen, wenn nicht zu einer Küstenstadt im Süden, wahrscheinlich am Golf. Natürlich könnte ich mit Baiae auch falsch liegen; vielleicht ist es Puteoli, Neapolis oder sogar Pompeji, aber das glaube ich nicht. Jemand, der so reich ist wie dein Auftraggeber - der ohne mit der Wimper zu zucken bereit und in der Lage ist, das Fünffache meines üblichen Tageshonorars zu zahlen, und mir gleichsam aus einer Laune heraus dieses Schiff schickt-, jemand, der so reich ist, hat garantiert auch eine Villa in Baiae, weil Baiae der Ort ist, an dem sich jeder Römer, der es sich leisten kann, eine Sommerresidenz baut. Außerdem hast du gestern vom Schlund des Hades gesprochen.«
    »Ich habe nie -«
    »Doch, du sagtest, daß viele Menschenleben in Gefahr sind, und du sprachst vom Geschrei der Säuglinge im Schlund des Hades. Natürlich könntest du dich bildhaft ausgedrückt haben wie ein Dichter, obwohl ich dir einen eklatanten Mangel an Poesie unterstellen würde, Marcus Mummius. Du bist ein Mann des Schwertes, nicht der Lyra, und als du vom >Schlund des Hades< sprachst, hast du das ganz wörtlich gemeint. Ich bin selbst nie dort gewesen, aber die griechischen Siedler, die sich erstmals an diesem Küstenstrich niedergelassen haben, glaubten in einem Schwefelkrater mit Namen Averner-See einen Eingang zur Unterwelt entdeckt zu haben - auch bekannt als der Schlund des Hades oder Orcus, wie altmodische Römer Ihn immer noch nennen. Soweit ich weiß, liegen die prächtigsten Villen Baiaes nur einen strammen Fußmarsch von diesem See entfernt.«
    Mummius sah mich prüfend an. »Du bist wirklich schlau«, sagte er schließlich. »Vielleicht bist du dein Geld ja tatsächlich wert.« Ich konnte keinen sarkastischen Unterton heraushören, als er das sagte, vielmehr eine Art Traurigkeit, so als würde er ernsthaft wünschen, daß ich meinen Auftrag erfolgreich erledigte, während er gleichzeitig mit meinem Scheitern rechnete.
    Einen Augenblick später marschierte er breitbeinig aus der Tür und rief mir im Gehen über die Schulter zu: »Nachdem du den ganzen Tag verschnarcht hast, bist du vermutlich jetzt hungrig. Mittschiffs ist die Messe. Dort bekommst du etwas zu essen -wahrscheinlich besser als das, was du von zu Hause gewohnt bist. Mir persönlich ist es zu üppig - ich ziehe einen
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