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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit
Autoren: Richard Dübell
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Sneydenwint? Heiliger Benedikt!«
    Elsbeth hatte die junge Klosterschwester argwöhnisch gefragt: »Habe ich dich nicht gebeten, auf Schwester Hedwig achtzugeben?«
    »Ja, Schwester Elsbeth. Aber dann hat die Schwester Pförtnerin mich beauftragt, die Mutter Oberin zu informieren, und ich habe Schwester Hedwig ins Hospiz geschickt, weil ich mir dachte, dort passt bestimmt jemand auf sie auf.«
    Elsbeth und Lucardis hatten sich bestürzt angesehen.
    »Albert Sneydenwint im Hospiz?«, hatte Lucardis hervorgestoßen, während Elsbeth gleichzeitig gekeucht hatte: »Schwester Hedwig im Hospiz?«
    Das war der Zeitpunkt gewesen, an dem die Äbtissin gesagt hatte: »Lauf, Elsbeth, lauf!« Und als sie losgerannt war, hatte ihr Lucardis noch hinterhergerufen: »Sneydenwint darf unter keinen Umständen in den Trakt für die Geisteskranken! Unter gar keinen Umständen!«
    3.
ZISTERZIENSERINNENABTEI
SANKT MARIA UND THEODOR, PAPINBERC
     

     
    Hedwig war Schwester Elsbeths besonderer Schützling. Die junge Nonne fiel überall auf, wo sie sich auch befand. Sie war blass und zart, aber von solcher Blässe, dass sie zwischen den anderen Gesichtern herausleuchtete, und von solcher Zartheit, dass selbst die dünne graue Kutte wie ein Gewicht auf ihren Schultern zu lasten schien. Hedwig hatte … nun: Zustände. Ein solcher Zustand hielt mehrere Stunden bis zu zwei Tagen an und zeichnete sich nach außen dadurch aus, dass das Mädchen regungslos an irgendeinem Platz saß oder stand und ins Leere starrte. Wenn man Hedwig beiseiteschob oder auf die Beine stellte, wandelte sie ein paar Schritte weiter und blieb dann wieder stehen. Wenn man sie in einer Fensternische abstellte, setzte sie sich auf die Mauerbank und saß dort, bis man sie vertrieb oder bis ein Regenguss die Steine so schlüpfrig machte, dass sie zu Boden rutschte. Sie aß nicht; wenn man ihr etwas in den Mund schob, blieb es dort. Zu Beginn ihrer Zeit im Kloster wäre sie beinahe erstickt, als Elsbeth ihr einen Bissen Brot zwischen die Zähne gesteckt hatte. Danach war Elsbeth dazu übergegangen, den Bissen vorher zu zerkauen und dem Mädchen dann den Brei zu verabreichen. Das Ergebnis blieb das gleiche – wenn man der widerstandslosen Hedwig nach einer Weile den Mund öffnete, rann der Inhalt einfach heraus. Es grenzte an ein Wunder, dass sie in diesen Phasen weder verhungerte noch verdurstete.
    Was ebenfalls ohne Hedwigs eigenes Zutun aus ihrem Mund während dieser Phasen rann, waren Worte. Ströme von Worten. Gott war das Licht. Gott war die Reinheit. Das Ziel aller menschlichen Seelen war es, dereinst in diesem Licht aufzugehen und die Welt der Schatten und der Dunkelheit auszulöschen. Gott war gut.
    Das Problem war, dass aus Hedwigs Worten – an die sie sich nicht erinnerte, wenn sie wieder zu sich gekommen war – klar herauszuhören war, dass ihr Gottesbegriff nicht mit dem zusammenpasste, für den die Kirche stand. Jahwe, der Gott des Alten und Neuen Testaments, war damit nicht gemeint. Er gehörte zu der Welt der Schatten. Er war ein böser Geist. Die ganze Schöpfung war böse. Am Anfang war nicht das Wort gewesen, sondern das Licht, und es war gefangen worden in der Kreation aus Stein und Erde und Wasser und Blut … und Dunkelheit und Arglist.
    Es war die Lehre, die die albigensischen Ketzer von Böhmen über Deutschland bis nach Frankreich getragen hatten; die Lehre, die die Romkirche veranlasst hatte, einen der blutigsten Kreuzzüge zu unternehmen, den sie je geführt hatte. Die Ketzer waren mit Feuer und Schwert bekämpft worden. Sie hatten sich gewehrt, sie waren unterlegen gewesen, sie waren so gut wie ausgerottet. Sie hatten zu Hunderten auf den Scheiterhaufen der Sieger gebrannt. Elsbeth hatte Hedwigs Eltern niemals kennengelernt – das Aufnahmegespräch hatte Äbtissin Lucardis geführt. Doch sie mutmaßte, dass diese dem ketzerischen Gedankengut ebenfalls nahestanden und ihre Tochter deshalb nach Sankt Maria und Theodor gesandt hatten, damit sie dort geschützt war.
    Hedwig hielt sich seit dem vergangenen Frühjahr in Sankt Maria und Theodor auf. Als sie zum ersten Mal in einer ihrer Trancen gesprochen hatte – vollkommen klar und zusammenhängend, auf keinen Fall misszuverstehen –, hatte Elsbeth sich geschworen, ihr diesen Schutz, wenn nötig, persönlich zu bieten. Der Schwur hing mit Colnaburg zusammen. Es war Elsbeth absolut klar gewesen, was geschehen würde, wenn Bischof Heinrich von Bilvirncheim das junge Mädchen sprechen hörte.
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