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Die Pforte

Die Pforte

Titel: Die Pforte
Autoren: Patrick Lee
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Arm der jungen Frau vor- und zurückbewegte. Travis konnte sie schreien hören, trotz des Knebels, mit dem man ihr den Mund verschlossen hatte. Sein Felsen befand sich etwa einhundert Meter von dem Lager entfernt und gut zwanzig Meter darüber.
    Sieben Feinde. Zwei Gefangene.
    Die Unwirklichkeit der Situation wurde Travis erneut bewusst, wie schon in dem Moment, als er auf Mrs.   Garner gestoßen war. Wer zum Teufel waren diese Leute? Was ging hier eigentlich vor?
    Auch wenn er sich ganz auf eine nüchterne Bewertung der Umstände konzentrierte, mit denen er es zu tun hatte, blieben Fragen. Warum hatten die Feinde sich entschieden hierzubleiben? Wie konnten sie sich so sicher fühlen, nicht einmal drei Meilen vom abgestürzten Wrack einer Boeing 747 entfernt, an deren Bord sich die Gattin des amerikanischen Präsidenten befunden hatte? Von dem mysteriösen Objekt, das sich in dem Stahlbehälter befunden hatte, ganz zu schweigen. Wie konnten sie auch nur eine Stunde in der Umgebung der Absturzstelle bleiben, geschweige denn drei Tage? Dafür gäbe es Gründe, hatte Mrs.   Garner geschrieben, ohne jedoch näher darauf einzugehen.
    Nun, von den Behörden und offiziellen Stellen, die nach dem Flugzeug suchen dürften, darunter wahrscheinlichauch der Präsident, war es jedenfalls noch nicht gefunden worden. Dafür hatten diese Typen irgendwie gesorgt – genau deshalb fühlten sie sich vermutlich so sicher. Nicht mal einen Wachposten hatten sie abgestellt. Vorläufig blieb nur die Erkenntnis, dass Mrs.   Garner recht behalten hatte: Diese Typen rechneten nicht mit Schwierigkeiten.
    Von hier oben aus könnte er sie alle erwischen. Kein Problem. Aus dieser Entfernung und Höhe bedurfte es wirklich keiner besonderen Treffsicherheit, schon gar nicht mit diesen Waffen. Er hatte fünf M1 6-Gewehre mitgenommen, die er sämtlich auf Automatikfeuer eingestellt hatte. Von dieser Stelle aus hätte jeder, der mit einem Gartenschlauch ein Blumenbeet besprengen konnte, die neun Personen unten im Lager niedermähen können, wozu er höchstens zwei Magazine leer zu ballern brauchte. Nach fünf Magazinen würde sich da unten unter Garantie nichts mehr regen.
    Ja, das könnte er machen. Das könnte er jetzt sofort machen und es so hinter sich bringen.
    Aber das hatte er nicht vor.
    Etwas in ihm sträubte sich gegen die Anweisung, die Ellen Garner in ihrem Brief in Hinblick auf die Gefangenen gegeben hatte, was auch immer genau auf dem Spiel stehen mochte. Falls er sich auch nur ansatzweise mit dem Gedanken angefreundet hatte, war es damit vorbei, sobald er sein Fernglas auf die junge Frau richtete, die da unten auf dem Tisch gefoltert wurde.
    Er würde sie nicht töten. Diese Art Schuld hatte er sich schon zur Genüge aufgeladen, das reichte für ein Leben.
    Aber töten würde er schon.
    Er beobachtete weiter, wie der Kerl mit dem dünnenBärtchen mit sichtlichem Vergnügen seinem abscheulichen Handwerk nachging, während der festgeschnallte Körper der jungen Frau sich in heftigen Zuckungen wand, und plötzlich merkte er, wie der Killerinstinkt von neuem in ihm erwachte.
    Das würde er hinbekommen.
    Dazu brauchte er sich bloß etwas näher heranzupirschen.

STROPHE I
    EINES SPÄTEN ABENDS IM OKTOBER 1992
     
    Seine Schritte sind das einzige Geräusch in der Dunkelheit, und sie sind kaum zu hören.
    Der Tag ist mild und regnerisch gewesen, ungewöhnlich für die Jahreszeit in Minneapolis, doch in der letzten Stunde – der Stunde vor Mitternacht – hat es in der Stadt empfindlich abgekühlt, und Nebel wirbelt in gespenstischen Schwaden durch die totenstille Cedar Street.
    In diesem abgelegenen Teil der Nachbarschaft gibt es keine Straßenbeleuchtung. Manchen der Anwohner hier ist es lieber so. Auch Travis Chase ist heute Abend dankbar für die Finsternis. Sie macht ihn so gut wie unsichtbar, und seine Schritte auf dem geborstenen Straßenpflaster sind kaum zu hören. Seine Anwesenheit wird so spät abends höchstens von den Geschöpfen wahrgenommen, die wilder sind als er selbst – kaum ist ihm dieser Gedanke durch den Kopf gegangen, hört er auch schon das leise Rasseln einer Hundekette auf einer Veranda, irgendwo im Nebel zu seiner Linken   –, was aber auf sein
Vorhaben zu dieser späten Stunde in der Cedar Street keinen Einfluss hat. Sein Kommen wird von niemandem bemerkt werden, auf den es ankommt.
    In seiner Jackentasche steckt die Pistole vom Kaliber
.
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, geladen mit Hohlspitzgeschossen.
    Vor ihm lichtet sich der Nebel,
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