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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur
Autoren: Bernhard Wucherer
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war dem Kastellan nicht aufgefallen, dass das Podium, auf dem der jetzt leicht hin und her rollende Holzpflock gestanden hatte, zwar höher war als das Podium, auf dem das hohe Gericht und der Pfarrer links und rechts des Galgens standen, aber nicht hoch genug, dass es die raschere Art des Erhängens zugelassen hätte.
    Die jetzt doch irgendwie bestürzten Zuschauer mussten mit ansehen, wie es ihrem ehemaligen Dorfmedicus die Zunge weit herausdrückte. Während sich die Beingewandung des soeben Erhängten einnässte – was man ihm jetzt zugestand –, lief dessen linkes Auge blutrot an und quoll zusammen mit dem bereits lädierten Auge angsteinflößend hervor. Nach ein paar zuckenden Bewegungen der Füße war alles vorüber, und man hörte für Sekunden nur das leise Wimmern eines Knaben in einiger Entfernung. Jetzt erst vermochten es viele Frauenköpfe, die sich in die Schultern ihrer Männer verkrochen hatten, sich wieder daraus zu lösen. Die Zuschauer brauchten ein paar Minuten, um sich zu fassen. Das war es jetzt, was sie gewollt und was sie sich so sehnlich herbeigewünscht hatten. Jetzt war es vorüber. Die meisten bekreuzigten sich und sprachen ein kurzes Gebet, allerdings nicht für die arme Seele, die dort vor ihnen baumelte, sondern für die unschuldigen Opfer der grausamsten Mordserie, die es wohl je in deutschen Landen gegeben hatte. Einige weinten. Aber meist stand ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen der Schaulustigen.
    »Es ist vorbei. Jetzt kommt wieder eine bessere Zeit!«, durchbrach Josen Bueb die Stille, während er beschwörend eine Faust gen Himmel richtete.
    Nach einiger Zeit stellte der Landrichter auf die Frage des Henkers die ordnungsgemäß nach Urteil und Recht vollzogene Handlung fest.

    *

    Aus der Menschenmenge schälte sich die Gestalt, die Fabio vor kurzem im Schlosshof erblickt hatte. Es war dieselbe Person, die der Medicus in den letzten Sekunden seines Lebens gesehen hatte. Da die Blicke aller die ganze Zeit über gebannt auf den Galgen gerichtet waren, hatte niemand den Schwarzgewandeten, der als Letzter an der Richtstätte eingetroffen war, bemerkt. Erst als alles vorüber war, zog der Vermummte langsam seine Kapuze herunter und nahm das Tuch ab, hinter dem er sein Gesicht verborgen hatte. Es hatte den Anschein, als wollte er es jetzt darauf anlegen, erkannt zu werden.
    »Heiliger Herrgott im Himmel! … Der Totengräber!«, rief eine alte Frau so laut, dass sich ihr alle Blicke zuwandten. Ein Gemurmel machte die Runde, und schon wieder wurden Kreuze geschlagen. Obwohl niemand etwas über sein tödlich geendetes Treffen mit dem älteren Sohn der Blaufärber wissen konnte und kein einziger Staufner je seine damaligen Wunden oder die verbliebenen Narben gesehen hatte, war es dem Totengräber wohler, wenn er den größten Teil davon unter seinem Bart verstecken konnte.
    »Wer weiß, was die sich zusammenreimen, wenn sie mein entstelltes Gesicht sehen«, hatte er sich gedacht und sich deswegen wieder einen Bart wachsen lassen. Dadurch konnte auch niemand sehen, dass er seither eine Lätsche hatte. Über seinem erblindeten linken Auge trug er eine Binde.
    Diejenigen, die es schon vermochten, sich vom Anblick des Erhängten abzuwenden, drängten jetzt neugierig zu Ruland Berging, doch er gab nur einen einzigen Satz von sich, bevor er sich zum Gehen abwandte: »Ich bin im rechten Augenblick zurückgekommen! – Nicht zu früh und auch nicht zu spät!«

    *

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Dramatis personae

    Bis auf diejenigen Personen der Handlung, die es im 17. Jahrhundert tatsächlich gab, und die mit mit einem * gekennzeichnet wurden, sind die Protagonisten frei erfunden. Ähnlichkeiten, gleich welcher Art, mit lebenden Personen sind rein zufällig.

    Die Familie des Kastellans:

    Hannß Ulrich Dreyling von Wagrain*
    Der Gräfliche Verwalter des Schlosses (»Kastellan«) Staufen gehört dem niederen Adel an. Er wird mit seinem zweiten Vornamen angesprochen.
    Gutmütig und gerecht. Seine stolze Erscheinung täuscht nicht immer darüber hinweg, dass er in familiären Dingen manchmal zu lasch ist, was ihm oft Ärger mit seiner Frau einbringt.
    Er ist der wohl bestgeachtetste Mann im Herrschaftsgebiet Staufen, vor dem alle Respekt haben, der aber auch Neider hat.

    Konstanze Dreyling von Wagrain
    Die stolze, manchmal überheblich wirkende Frau des Kastellans und Mutter seiner drei Söhne.
    Einerseits eine sehr strenge Mutter und Herrin, andererseits trotz ihrer Kühle feinfühlig.
    Sie
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