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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur
Autoren: Bernhard Wucherer
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Volkes.
    Der Landrichter wartete so lange, bis es wieder ganz ruhig geworden war, bevor er seine Stimme erhob: »Wir – das ehrenwerte Richtergremium – haben beschlossen, dass der Verurteilte zu seiner Schande baren Hauptes hängen soll und nicht nur sein Körper, sondern auch sein Haupt der Verwesung, der Witterung und …« Zwick blickte zum Himmel hoch, bevor er weitersprach: »den schwarzen Vögeln überlassen wird. Erst wenn die letzten Reste des Leichnams von selbst abgefallen sind, soll er hier auf dem Galgenberg, an der Stelle seines Todes, in gottloser Erde verscharrt werden. – Henker! Lasst die Kapuze also weg und legt endlich die Schlinge um seinen Hals.«
    Als er dies hörte, begann der dem Tode nun doch nicht Entronnene hysterisch zu schreien. Er versuchte mit aller Gewalt, seine auf dem Rücken zusammengebundenen Hände aus dem Strick zu lösen, was diesen aber nur fester zusammenzog und Wahnsinnsschmerzen mit sich brachte.
    Frauen hielten die Hände ihrer Männer fest und vergruben ihre Köpfe an deren Hälsen, während sie ihre Kinder an sich drückten und deren Augen zuhielten.
    Um der widerlichen Szenerie einerseits ein Ende zu setzen, die Sache andererseits aber noch etwas auszukosten, fragte der Richter den Medicus für alle laut vernehmbar, ob er noch etwas zu sagen habe, bevor der Henker seines Amtes walten würde.
    Der Brustkorb des Todgeweihten bebte, als er mehrmals tief einatmete, um etwas sagen zu können. Scheinbar würdevoll hob er sein Haupt und blickte mit dem Auge, das noch nicht ganz zugequollen war, trotzig in die Menschenmenge. Da er wusste, dass jetzt gleich alles vorüber sein würde, wollte er etwas tun, auf das er bisher nicht gekommen war; er wollte sich bei all den Menschen entschuldigen, denen er so viel Leid angetan hatte, brachte aber aufgrund der trockenen Kehle und der aufgequollenen Zunge kein Wort heraus. So sehr er sich auch bemühte, gelang es ihm nicht, wenigstens ein paar Worte des Bedauerns auszustoßen.
    Dies war ein Moment, sicherlich der einzige, in dem die Menschen fast ein wenig Mitleid mit dem Verurteilten hätten haben können, letztlich aber doch nicht hatten, was gerade die Weiber durch ihre Keiferei kundtaten.
    Plötzlich beugte sich der Medicus ruckartig nach vorne. Er riss seinen Mund auf und kniff seine angeschwollenen Augenlider zusammen, um Tränen und Schweiß herauszudrücken, damit er das besser erkennen konnte, was er zu sehen glaubte. Er legte den Kopf schräg, um mit dem linken Auge etwas sehen zu können, während ihm durch seine Bemühungen, das verletzte Auge ebenfalls zu öffnen, rechts wieder das Blut herunter lief. Mit letzter Kraft zerrte er wie wild an seinen Handfesseln, die ihn daran hinderten, auf jemanden zu zeigen. Er schüttelte sich und zappelte wieder, als wollte er sich befreien.
    Die Anwesenden glaubten, dass der Medicus im Angesicht des Todes jetzt endgültig durchdrehen würde.
    »Der … der …«, stieß er heiser hervor und versuchte mit hektischen Kopfbewegungen in Richtung einer vermummten Gestalt zu zeigen.
    Der Landrichter deutete das für ihn keinesfalls ungewohnte Verhalten eines Delinquenten als ein letztes, von Todesangst geprägtes Aufbäumen vor dem zu erwartenden Tod. Um dem grausamen Spiel nun doch ein Ende zu bereiten, nickte er dem Henker still zu, das Urteil zu vollstrecken.
    »Der Herr sei deiner armen Seele gnädig«, hörte man den Propst sagen, während er ein Kreuz in Richtung des Todgeweihten zeichnete und damit begann, ein Gebet zu murmeln.
    Jetzt ging alles ganz schnell.
    Trrrrrr …
    Als der Henker endlich seiner Aufgabe nachkam und mit seinem Fuß den Holzpflock beiseiteschob, auf dem der Delinquent stand, hörte man gleichzeitig ein durch das Gewicht des einen Augenblick zuvor Erhängten ausgelöstes Stöhnen der Holzbalkenverbindung und das dumpfe Fallgeräusch. Da es keine Luke gab, die für einen schnellen Genickbruch gesorgt hätte, musste der Medicus qualvoll ersticken.
    »Um Gottes willen«, empörte sich Ulrich Dreyling von Wagrain laut. »Ich habe gedacht, dass es ein ›Erhängen mit Umständen‹ sein wird.« Damit meinte er das Erhängen mittels einer Bodenklappe, durch die der Delinquent mitsamt des zwei Ellen hohen Holzpflockes, auf den ihn der Henker gestellt hatte, schlagartig durch eine Luke nach unten fallen würde. Da der Fallweg länger gewesen wäre, hätte das Körpergewicht mehr Wirkung gezeigt und ein rascher Genickbruch wäre die Folge gewesen. In der ganzen Aufregung
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