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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin
Autoren: Ricarda Jordan
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aller Ruhe goss sie kaltes Wasser aus einem Holzbottich und warmes aus einem Tonkrug in eine bereitstehende Mulde, badete das Kind und wickelte es in saubere Tücher. Erst dann bettete sie es in die Arme seiner Mutter. Die kleine Lea sah ihrem Findelkind ähnlich. Aber was für ein unterschiedliches Leben die beiden Mädchen erwartete! Lea würde wie eine Prinzessin aufwachsen. Das andere kleine Mädchen hatte nicht einmal einen Namen ...
    Benjamin von Speyer drängte jetzt in die Wochenstube, und auch David und Esra durften hereinkommen und ihre Schwester willkommen heißen. Die Jungen konnten nicht viel mit dem Neugeborenen anfangen, zeigten sich jedoch erleichtert, dass ihre Mutter wohlauf war. Sie hatten die letzten Stunden in der Küche bei der lamentierenden und ängstlich betenden Köchin verbracht, die ihre Herrin schon tot wähnte. Auch fehlte der Reiz des Neuen, was das Kind anging, denn Al Shifa hatte die Jungen bereits das Findelkind bewundern lassen.
    »Haben wir jetzt zwei Schwestern?«, fragte der kleine David. »Dann müssen wir aufpassen, dass wir sie nicht verwechseln. Die andere sieht genau so aus.«
    Sarah runzelte die Stirn. »Natürlich ist nur Lea deine Schwester, David! Und sie ist unverwechselbar. Auf was für Ideen du kommst!« Sie lachte ein wenig unsicher. »Aber nun müsst Ihr mir Euer Hurenkind doch zeigen, Frau Rachel. Schon, damit ich nicht denken muss, es sei womöglich hübscher als das meine!«
    Rachel versicherte ihr, niemals ein schöneres Kind gesehen zu haben als die kleine Lea, und Benjamin beeilte sich, ihr beizupflichten. David jedoch nutzte die Gelegenheit, zurück in die Küche zu hüpfen und Al Shifa zu rufen.
    »Mutter will das Huhnkind sehen. Warum nennt sie es Huhnkind, Al Shifa?«
    Das christliche Küchenmädchen bekreuzigte sich. Die jüdische Köchin warf ihm einen misstrauischen Blick zu.
    Al Shifa runzelte die Stirn. »Es heißt nicht Huhnkind, David. Und das andere Wort wollen wir nicht sagen. Das Kind ist ein Geschenk Allahs, egal wer es gezeugt hat.«
    Bei der Erwähnung Allahs bekreuzigte das Mädchen sich ein weiteres Mal.
    Al Shifa stand auf und machte Anstalten, sich weisungsgemäß mit dem Kind in die Wochenstube zu begeben. Das kleine Mädchen schlief süß an ihrer Schulter. Es war satt und sauber: Al Shifa hatte die Zeit genutzt, es zu baden und mit verdünnter Milch zu füttern.
    »Aber Mutter hat es so genannt ...«
    »Deine Mutter hat nur Spaß gemacht«, behauptete Al Shifa. »Sie hat Frau Rachel bloß necken wollen.«
    Mit dem Kind an der Brust verneigte sie sich tief, als sie an Sarahs Bett trat. Rachel fiel ein, dass sie Al Shifa niemals hatte knicksen sehen. Und ihre Verbeugung drückte eher Würde aus als Unterwürfigkeit.
    Sarah warf kritische Blicke auf das fremde Neugeborene, denn Al Shifa hatte es in ihre Windeln gewickelt. Doch Sarah war an diesem Tag so glücklich, dass sie keine Bemerkungen darüber machte.
    »Es ist in der Tat ebenfalls blond, und auch recht niedlich«, meinte sie huldvoll. »Man könnte es wirklich behalten - als Spielgefährtin für Lea. Was meinst du, Benjamin? Würde der Ewige das als Geste des Dankes annehmen? Für Lea und unsere wundervollen Söhne? Für Davids Überleben nach der schweren Geburt?«
    In Rachel keimte Hoffnung auf. Al Shifa schaute mit zunächst leerem, dann jedoch lauerndem Blick von einem zum anderen. Schließlich fixierte sie ihren Herrn. Davids Überleben dankte er nicht seinem Gott, sondern ihr, Al Shifa! Und sie wollte dieses Kind!
    Benjamin von Speyer fing ihren Blick auf und verstand die Botschaft. Dennoch zuckte er die Schultern.
    »Der Ewige würde es zweifellos als Geste der Güte und Freundlichkeit anerkennen. Aber wie stellst du dir das vor, Sarah? Du kannst kein Christenbalg an Kindes statt annehmen. Und du auch nicht, Al Shifa, frag gar nicht erst! Habt Ihr das Kind überhaupt schon getauft, Frau Rachel? Wenn nicht, so wird es Zeit. Ihr könntet sonst in größte Schwierigkeiten kommen!«
    »Ach, niemand wird den armen Wurm anmahnen«, meinte Rachel wegwerfend. »Ob der getauft ist oder nicht, wen kümmert's? Hätte ich das Kind nicht mitgenommen, hätten seine feinen Gevatterinnen es wie eine Katze ersäuft!«
    »Niemand wird das Kind anmahnen, solange keiner es sieht«, bemerkte von Speyer und warf einen prüfenden Blick in das Gesichtchen des Kindes. »Aber sobald es irgendwo auftaucht, wird man Fragen stellen. Und dann kommt schnell heraus, dass keine Jüdin es geboren hat. Und
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