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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin
Autoren: Ricarda Jordan
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meinte Speyer und bemühte sich um Geduld. Rikes Kindern war deutlich anzusehen, dass mehr als ein Mann an der Zeugung dieser Horde beteiligt gewesen war.
    »Und dann lass ich's mit dem Grietgen rumziehen? Nein, nein. Wenn's das meine sein soll, dann legt Ihr noch drei Kupferpfennig im Monat drauf, dafür behelligt's Euch auch nicht mehr!«
    Benjamin warf einen Blick auf die unordentliche Wohnung, den schmutzigen Lehmboden und die verdreckten, kalten Schlafstätten der Kinder, die man vor dem Schlafengehen sicher nicht gewaschen hatte. Tagsüber sah er sie mitunter auf der Straße, gelangweilt und verwahrlost. So hatte er sich das Leben von Rachels kleinem Findling nicht vorgestellt.
    »Ich leg drei Kupferpfennig drauf, aber Ihr gebt es Grietgen jeden Tag mit, und Ihr legt es abends in ein sauberes Bett. Das Grietgen lernt, wie man ein Haus sauber hält und ein Bett bezieht. Es wird wissen, was ich will. Und bringt mir das Kind auch nur eine Laus oder einen Floh ins Haus, zieh ich Euch die Pfennige wieder ab! Können wir uns so einigen?« Benjamin zückte seine Börse.
    Die Küferin nickte. Aber noch gab sie nicht auf. Wäre ja noch schöner, wenn der reiche Jud das letzte Wort hätte!
    »Aber Ihr bringt es mir nicht ins Haus, bevor's getauft ist, hört Ihr?«, bemerkte sie. »Ein Heidenkind nehm ich nicht, und erst recht kein Judenbalg!«
    Benjamin bat seinen Gott um Langmut und nickte. »Es wird christlich getauft, und am Sonntag in der Kirche lasst Ihr es einsegnen«, erklärte er und musste Grietgen anschließend noch einmal wecken. Das Mädchen war auf seinem heimischen Strohsack gleich wieder eingeschlafen und begriff nicht, warum es jetzt noch einmal mit zu den Speyers gehen und das fremde Kind holen sollte.
    »Ach, lasst die beiden Bälger heut Nacht bei Euch!«, meinte die Küferin großzügig. Anscheinend hatte sie keine Lust, die Tür nachher noch einmal für Grietgen zu öffnen. Und auf das Geschrei eines Neugeborenen konnte sie auch verzichten. »Die Nachbarn haben ja gesehen, wie das Grietgen heimkam, da wird keiner tratschen.«
 
    Grietgen tappste also brav neben ihrem Herrn her, zurück ins Haus der Speyers. Dort schlief es selig vor dem Ofen in der Küche und hätte seine neue kleine Schwester dabei auch durchaus im Arm gehalten. Die erhielt jedoch erst mal ihren Namen, über den Al Shifa lange nachdachte.
    »Es muss ein christlicher Name sein. Aber er soll auch ein bisschen Sonne in sich tragen ... «, meinte sie, als Rachel schließlich couragiert Wasser über die Stirn des Neugeborenen rinnen ließ, widerwillig ein Kreuz schlug und die christliche Taufformel sprach. Das Gesetz verpflichtete sie dazu, wenn sie ein christliches Kind auf die Welt holte, das womöglich nicht lange überlebte. Wobei eine Nacht im Haus eines Juden wahrscheinlich als gefährlicher angesehen wurde als eine zu frühe oder schwere Geburt.
    »Ich taufe dich auf den Namen ...«
    »Lucia«, bestimmte die Maurin. »Das Licht.«

3
 
    S o begann das Leben der kleinen Lucia in zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Wenn Grietgen das Kind im Morgengrauen in die Schulstraße brachte, wartete Al Shifa bereits darauf, es zu baden und frisch zu wickeln. Sie fütterte es mit süßer Milch und später mit Honigbrei, sang ihm vor und bettete es schließlich, sauber in Hemdchen aus edelstem Leinen gekleidet, in die gleiche Wiege wie Lea. Wenn Sarah von Speyer aufstand, fand sie dann meist schon beide Kinder vor und liebkoste und wiegte sie fast gleichermaßen. Ihre »kleinen Prinzessinnen« wurden gehegt und gepflegt, und sobald sie die ersten Worte verstanden, las man ihnen vor und spielte mit ihnen.
    Doch nach Sonnenuntergang, wenn Grietgens Dienst endete, wurde Lucia dem Prinzessinnendasein ebenso rasch entrissen, wie man sie morgens hineinbeförderte. Grietgen trug sie wie einen Sandsack, ließ sie gleich nach dem Heimkommen auf ein unordentlich gemachtes Lager sinken und dachte gar nicht daran, ihr bei Nacht die Milch zu geben, die Al Shifa sorglich für sie vorbereitete. Die Leckerei landete stattdessen in den Mägen der jüngeren Küfers, die sich meist so lauthals darum stritten, dass Lucia erwachte und vor Angst und Kälte schrie, bis die Erschöpfung sie übermannte. Die Küferin wertete dies als Erziehungserfolg. Sie hatte alle ihre Kinder schreien lassen, sobald ihre eigene Milch versiegte; und das ging im Allgemeinen rasch, schließlich empfing sie meist wenige Wochen nach der Geburt das nächste Kind.
    Am
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