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Die Peperoni-Strategie

Die Peperoni-Strategie

Titel: Die Peperoni-Strategie
Autoren: Jens Weidner
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Hause kommt, denkt sie, er hätte eine Affäre. Am Ende muss Schneiderwink womöglich mit Martins Frau telefonieren und die Mehrarbeit rechtfertigen. Darauf hat er wirklich wenig Lust.
    Bleibt also noch Luise. Aber Luise hat es wirklich am wenigsten verdient. Sie schuftet schon mehr als ihre beiden Kollegen und liefert exzellente Arbeit. Luise noch stärker mit Aufträgen zu belasten, ist unfair, das weiß Schneiderwink. Aber das Angebot muss doch heute noch raus, und der Brezelmeier macht immer so einen fiesen Druck, wenn er etwas haben will. Und außerdem kann Luise schlecht Nein sagen.
    Dieser Auswahlprozess dauert in der Realität übrigens nur wenige Wimpernschläge. Innerhalb von Sekundenbruchteilen scannt unser Hirn die Optionen, wägt Vor- und Nachteile ab und kommt zu einem Ergebnis.
    Herr Schneiderwink geht also gegen 16.25 Uhr in Luises Büro: »Wissen Sie, Luise, seit Sie bei uns sind, läuft hier alles wesentlich besser. Früher herrschte in diesem Bereich immer ein gewisses Chaos. Heute sind wir dank Ihnen bestens organisiert. Wir sind eine richtige Vorzeigeabteilung geworden.« Nach einer kleinen Pause fügt Schneiderwink hinzu: »Ich habe hier noch eine Sache, die können in dieser Firma nur zwei Personen lösen: ich oder Sie. Aber ich bin heute noch mit Terminen total dicht. Es wäre eine riesige Hilfe, wenn Sie das übernehmen würden. Um
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uns weiterhin auf dem Markt behaupten zu können, müssen wir rechtzeitig die Kalkulation einreichen. Wenn Sie richtig Gas geben, müssten Sie bis 19.30 Uhr damit durch sein.«
    Luise fühlt sich geschmeichelt. Sie weiß, dass Schneiderwink ganz schön dick aufträgt, aber – sie kann es nicht abstreiten – sie fühlt sich anerkannt und wichtig. Sie ist eine Stütze des Unternehmens.
    Diese Situation ist allerdings nicht neu: Es ist nicht das erste Mal, dass Schneiderwink sich kurz vor knapp mit einer dringenden Aufgabe an sie wendet. Martin und Walter kommen da besser weg – bei gleicher Bezahlung. Dennoch sagt sie natürlich nicht nein: Entweder ist man die Stütze des Unternehmens oder nicht.
    Schneiderwink geht jetzt übrigens zum Golfen. Schließlich ist das Wetter wundervoll. Ein lauer Sommerabend. Den darf man nicht ungenutzt verstreichen lassen. Wenn er etwas Gas gibt, kann er bis 19.30 Uhr am 18. Loch sein. Dann schafft er es noch rechtzeitig nach Hause, um seinem Sohn vor dem Zubettgehen etwas vorzulesen.
    Verhält sich Schneiderwink unfair? Ja. Ist er sich dessen bewusst? Ja. Hat er ein schlechtes Gewissen? Nein. Schließlich geht es um die Zukunft des Unternehmens – und um seinen Familienfrieden.
     
    Luise hätte dieser Mehrarbeit übrigens entkommen können. Schließlich kennt sie die Situation schon. Sie hätte sofort bei Schneiderwinks Eintreten in ihr Büro das Wort ergreifen und mit brüchiger Stimme berichten können, dass sie gerade per Telefon erfahren hätte, dass ihr Kind an schrecklichen Magenschmerzen leidet und nach seiner Mutter weint. Sie müsse sofort, auf der Stelle, ohne jede Verzögerung nach Hause eilen.
    Schneiderwink hätte – mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit – von seinem Vorhaben Abstand genommen. Vielleicht hätte er doch den grantelnden Walter genötigt oder mit Martin und seiner Frau die Gestaltung der kommenden drei Stunden abgestimmt. |203| Oder er hätte die Kalkulation eben selbst machen müssen. Dann hätte er nicht golfen können – aber rechtzeitig nach Hause zu seinem Sohn hätte er es allemal geschafft.

Die Abwertung des Opfers
    »Der hat doch selbst Schuld!« Dieser Satz ist äußerst wirksam, um das eigene unfaire Verhalten zu rechtfertigen. Denn wenn der andere schuld ist, können wir nicht schuld sein. Ganz einfach. Wir haben uns nur verteidigt.
    Das Unrecht, behaupten wir mit diesem Satz, sei in Wirklichkeit kein Unrecht, sondern vielmehr eine Form gerechter Rache oder Strafe. Durch diese subtile Alchemie verwandelt sich ein Täter in ein sich wehrendes Opfer – und der Leidtragende wird zum Übeltäter, der Strafe verdient!
    Ein böser und sehr effektiver Mechanismus. Im Allgemeinen erfolgt die Umdeutung von Opfer und Täter über verleumderische Zuschreibungen. Diese können ganz unterschiedlich geprägt sein – vor allem sind sie aber eines: individuell. In erster Linie werden persönliche Eigenheiten, die nicht in den Mainstream einer Abteilung oder eines Unternehmens passen, aufgegriffen und wortgewaltig aufgebauscht. Aus dem zurückhaltenden Kollegen, der aus Schüchternheit etwas
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