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Die Peperoni-Strategie

Die Peperoni-Strategie

Titel: Die Peperoni-Strategie
Autoren: Jens Weidner
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wir gar nicht anders.«
    In diesem Fall überschneidet sich die Leugnung der Verantwortung partiell mit dem Hinweis auf höhere Instanzen. Wir gehen weiter unten näher darauf ein.

Die Leugnung des Unrechts beziehungsweise des unfairen Handelns
    Die Grundvoraussetzung für diese Rechtfertigungsstrategie ist ein elastischer Unrechtsbegriff: Unrecht sollte einerseits so eng definiert sein, dass das Verhalten des Gegenspielers, Vertragspartners oder Mitbewerbers darunter fällt. Andererseits sollte der Begriff aber auch so weit gefasst sein, dass das eigene Handeln als gerecht einzustufen ist.
    Natürlich hat jede Führungskraft ein sehr sicheres Gespür dafür, was beruflich fair oder unfair ist, schließlich handelt es sich um Personen, die die Fähigkeit zur Selbstreflexion, zur Empathie und zum hypothetischen Handeln – also dem geistigen Vorwegnehmen der Konsequenzen – besitzen. Ohne diese Skills hätten sie es nämlich gar nicht erst in diese Position geschafft. Doch dank der Strategie der Unrechtsleugnung können Gewissensbisse zugunsten der Durchsetzung eigener Interessen vermieden werden.
     
    Frau Klies und Herr Rau verantworten gemeinsam ein Technologieprojekt, das sich ganz hervorragend entwickelt. Um vor Ort alles Nötige anstoßen zu können, teilen sie sich für die Dauer des Projekts ein geräumiges Büro in Dresden. Sie verstehen sich prima und arbeiten richtig gut zusammen, denn sie ziehen an einem Strang. Das ist auch gut so,
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denn der Auftrag verlangt immer wieder Arbeitstage von zwölf bis vierzehn Stunden Länge.
    Gemeinsam meistern Klies und Rau das Projekt mit Bravour und ernten viel Lob und einen beträchtlichen Reputationszuwachs. Die beiden bedauern nur eines: dass sie nach Beendigung des Projekts beruflich wieder getrennt unterwegs sein werden.
    Ein Jahr später kreuzen sich ihre Wege jedoch erneut: Beide bewerben sich unternehmensintern auf eine ausgeschriebene Führungsposition. Beide haben exzellente Chancen, sodass der Geschäftsführung die Entscheidung wirklich schwer fällt. Sowohl Frau Klies als auch Herr Rau haben diesen Karrieresprung angesichts ihrer Leistungen verdient. Insgesamt neigt die Geschäftsleitung allerdings leicht zu Frau Klies, da es bislang nur wenige Frauen in derartigen Positionen gibt. Und eine so hervorragende weibliche Führungskraft wie Frau Klies würde dem Unternehmen gut zu Gesicht stehen.
    Herr Rau weiß um diesen hauchdünnen Vorsprung seiner Mitbewerberin.
    In der letzten Runde der Auswahlgespräche werden beide unabhängig voneinander nach den Stärken des jeweils anderen befragt. Herr Rau antwortete nach kurzem Nachdenken: »Da gibt es bei ihr wirklich viele. Frau Klies ist unheimlich stark aufgestellt.«
    Nach einer kurzen Kunstpause fügt er hinzu: »In welchem Punkt sie aber wirklich besser ist, das ist ihre Sozialkompetenz, ihre Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen. Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Wir haben während unseres Projekts Wochen und Monate auf engem Raum miteinander verbracht. Unser Arbeitstag war nicht selten vierzehn, fünfzehn Stunden lang. Das Privatleben fällt da ziemlich flach. Dennoch hat sie es geschafft, sich für ihre kranke Schwester in den USA Zeit zu nehmen. Sie hat ihr regelmäßig Mut zugesprochen. Ihre Schwester war schwer erkrankt. Ich möchte das aus Diskretionsgründen nicht vertiefen. Aber es hat mich ungeheuer beeindruckt, dass Frau Klies sie mehrmals täglich anrief, um ihr die notwendige Unterstützung zukommen zu
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lassen. Und trotz dieser emotional sehr belastenden Gespräche hat Frau Klies nach dem Auflegen blitzschnell wieder auf den Job umgeschaltet. Eine wirklich starke Leistung.«
    Die Geschäftsleitung lässt daraufhin die dienstliche Telefonrechnung von Frau Klies überprüfen und kommt für die Privatgespräche in die USA auf eine Summe von über 300 Euro. Frau Klies wird daraufhin – formal völlig korrekt – abgemahnt, und Herr Rau bekommt den Zuschlag für die Führungsstelle.
    Frau Klies ist tief getroffen und wird Herrn Rau das niemals verzeihen. Herr Rau hingegen geht insgesamt mit ruhigem Gewissen aus der Sache heraus. Schließlich hatte Frau Klies ja einen haardünnen Vorsprung, der nur mit ihrem Geschlecht und nicht mit ihrer Leistung zusammenhing. Er war das Opfer dieser geschlechtlichen Diskriminierung – da musste er sich doch zur Wehr setzen. Und sie hat ja selbst Schuld, wenn sie während der Arbeitszeit Privatgespräche über das Diensttelefon führt. Und außerdem hat
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