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Die Pension am Deich: Frauenroman

Die Pension am Deich: Frauenroman

Titel: Die Pension am Deich: Frauenroman
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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hier liegt sie nun. Hellwach. Ihr Herz pocht so laut, dass sie das Echo seiner Schläge im Zimmer hören kann. Ob die beiden anderen wirklich einschlafen konnten? Wahrscheinlich liegen sie alle drei wach und horchen angespannt in die Nacht. Vor allem nach oben. Monika knipst die Stehlampe neben dem Sofa an. An der Wand gegenüber steht ein Bücherregal. Lesen. Vielleicht findet sie sogar ein Buch, das sie ein bißchen ablenkt. Eine ganze Reihe mit Linda-Loretta-Romanen. Erst jetzt wird Monika wieder bewusst, dass Anne schreibt. Monika nimmt ein Buch in die Hand. Ein Liebesroman. Das Cover ist in Pastelltönen gehalten. Die Figuren darauf sind gezeichnet. Eine Frau läuft mit fliegenden Röcken einem Mann entgegen. Monika muss lächeln. Zarte Töne von einer großen Frau in Schwarz. Und die resolute Tomke ist ihre begeisterte Leserin. Kaum zu glauben.
    Monika setzt sich mit dem Buch auf das Sofa. Fehlt nur noch ein Glas Wasser. Sie hätte sich eine Flasche mit aufs Zimmer nehmen sollen. Kaum ist der Gedanke formuliert, scheint ihre Zunge demonstrativ am Gaumen zu kleben. Sie wird sich etwas zu Trinken holen. Vorsichtig drückt sie die Türklinke herunter und horcht in den Flur. Stille. Zum Glück hat Tomke eine kleine Lampe angelassen. So braucht sie sich nicht durch unbekannte Dunkelheit zu tasten. Sie ist barfuß. Das kühle Laminat macht kein Geräusch unter ihren Schritten. In der Küche brennt auf der Fensterbank sogar noch eine Kerze. Monika schenkt sich Wasser ein und setzt sich. Das schummrige Licht ist angenehm. Die Küche vermittelt ihr mehr Ruhe als die Stube nebenan. Sie wird hier erst einmal sitzen bleiben. Wie lange Frank von den Tabletten wohl schläft? Was waren das überhaupt für welche? Mein Gott, sie hat sie sich von Tomke einfach anmixen lassen. Sie hat die Gläser folgsam genommen und nicht mehr nachgefragt. Wie ein kleines Mädchen. Ohne einen Beipackzettel zu lesen, als hätte sie kein Hirn zum Denken. Dabei kennt sie Tomke kaum. Die Überlegungen bedecken sie von einer Sekunde zur anderen mit Schweißperlen. Sie schenkt sich mit zitternden Händen noch einmal Wasser nach.
    Der fein ausgeklügelte Plan wird mit Abstand gesehen immer dünner. Sie muss völlig verrückt gewesen sein, als sie sich darauf eingelassen hat. Was heißt verrückt. Es hat einfach gut getan, mit den beiden Frauen zusammenzusitzen. Zu spüren, die sind eindeutig auf ihrer Seite. Ihren Eifer, sich etwas für sie auszudenken. Ihr Bemühen, sie zu trösten. Diese Solidarität, dieses Wir-halten-zusammen-Gefühl hat Monika an ihre Teenagerzeit erinnert. Kathi und Anja waren ihre besten Freundinnen. Ihre allerbesten, wie man in dem Alter herzlich gern betont. Zu dritt waren sie unschlagbar. Gleichgültig, welches Problem gerade anstand. Meistens war es Liebeskummer. Alles verblasste, wenn sie dicht nebeneinander auf einem ihrer Betten lagen. Sie hörten Ulla Meinecke rauf und runter, am liebsten: » Du bist die Tänzerin im Sturm. Du bist ein Kind auf dünnem Eis. Du wirfst mit Liebe nur so um dich – und immer triffst du mich.« Dazu tranken sie Apfelsaft mit Amaretto und fühlten sich unbesiegbar.
    Die Erinnerung lässt Monika wieder ruhiger werden. Blanker Unsinn, Tomke in Frage zu stellen. Welches Interesse sollte sie haben, Frank eine Überdosis Schlaftabletten zu verabreichen? Schon gar nicht in ihrer eigenen Pension. Sie ist eben eine gutmütige Seele und will ihr helfen. Das ist alles. Diese Hirngespinste sind schon wieder Ausgeburten deines schlechten Gewissens. Diese Warterei macht einfach marode. Reiß dich zusammen, Frau Habermann. Frank wird aufwachen und wie immer zur Seite greifen. Er wird aber nicht seine Frau, sondern Susi ertasten. Vielleicht glaubt er für einen Augenblick, er träumt. Bis er schlagartig wach ist und begreift, neben ihm liegt wirklich eine wildfremde, attraktive, nackte Frau. Und wo ist seine? Ha, das wird ihm einen Wahnsinnsschrecken einjagen. Er wird aufspringen. Splitternackt wie er ist. Panisch nach seinen Klamotten suchen, um sich zu bedecken. Er wird Susi empört anschreien, sie fragen, wer sie ist. Wo ist meine Frau? Susi wird ihm nicht antworten. Nur unschuldig lächeln.
    Monika atmet durch. Genauso wird es sein. Vielleicht durchschaut er die Komödie im Nachhinein. Kann sein. Unwichtig. Es wird ihm auf jeden Fall für einen kurzen Augenblick begreiflich machen, wie es ist, auf das Vertrauen des anderen angewiesen zu sein. Auch wenn alle offensichtlichen Tatsachen dagegen sprechen.
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