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Die Pension am Deich: Frauenroman

Die Pension am Deich: Frauenroman

Titel: Die Pension am Deich: Frauenroman
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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und verschwindet im Garten. An der Buchsbaumhecke setzt sie den Käfig ab und öffnet die Falltür. »Viel Glück und geh den Katzen aus dem Weg.«

Kapitel 20
     
     
    Tomke und Anne und das schlechte Gewissen
     
    Der Krankenhausparkplatz ist fast leer. Das wirkt gespenstisch vor dem langgestreckten Klinikkomplex mit den vielen Fenstern. Hier und da brennt ein Licht. In dem Zimmer liegt sicher jemand wach und wartet auf den Morgen.
    Tomke und Anne gehen schweigend zum Eingang. Die Glastür ist geschlossen. Dahinter erkennt man im gedämpften Licht die Eingangshalle. Tomke geht noch einmal einen Schritt vor und zurück, aber die elektronische Schiebetür öffnet sich nicht.
    »Hier«, sagt Anne und weist auf den Klingelknopf. Als sie ihn drückt, erklingt ein Summton und die Türen werden auseinander gezogen.
    Tomke geht forsch voraus. Ihre Schritte hallen überlaut nach. Anne folgt ihr langsam und bemüht sich, leise aufzutreten. Die nächtliche Atmosphäre der Eingangshalle nimmt sie ungewollt gefangen. Die einladenden Sitzgruppen sind verwaist. Prächtige Grünpflanzen stehen im Halbdunkeln. Wie schlafende Oasen. Tagsüber werden sie Besuchern Schutz und Schatten spenden. Einen Augenblick scheinbare Privatsphäre. Fahrstühle. Keiner ist in Bewegung. Die roten Knöpfe leuchten wie wartend, um sofort jemanden befördern zu können. Alles erscheint wie ein ruhiges Luftholen vor dem nächsten Ansturm. Nichts erinnert hier an nächtliche Krankenhausszenen aus Filmen, in denen Ärzte und Schwestern Tragen mit blutenden Schwerverletzten im Laufschritt in den Operationssaal befördern.
    Hinter einer Glasscheibe sitzt ein Mann. Er schiebt sie ein kleines Stück auf und sieht ihnen müde entgegen.
    »Moin, wir gehören zu Herrn Habermann«, erklärt Tomke knapp. Der Mann wendet sich seinem Computer zu und nickt bestätigend.
    »Ist gerade ins Haus gekommen und kommt gleich auf die Intensivstation.«
    Er beugt sich vor und weist ihnen den Weg. »Da geradeaus, gleich wieder rechts, nächster Fahrstuhl, erste Etage und wieder links. Dort müssen Sie klingeln.«
    Tomke nickt flüchtig dankend. Anne starrt den Mann noch immer verwirrt an. In ihrem Kopf schwirrt es. Sie hat kaum etwas von der schnell dahingeratterten Wegbeschreibung behalten. Nur »Intensivstation« ist bedrohlich deutlich in ihrem Bewusstsein hängen geblieben.
    »Könnten Sie bitte noch einmal …« Bevor sie die Frage zu Ende formulieren kann, zieht Tomke sie resolut am Arm weiter.
    »Nun komm. Ich weiß, wo das ist.«
    Sie laufen schweigend einen langen Flur entlang. Überall Zimmer mit leerstehenden Sitznischen. An den Wänden hängen Bilder. Ein Künstler hat seine Fotografien ausgestellt. Momentaufnahmen aus Paris. Im Hochsommer. Als sie auf den Fahrstuhl warten, konzentriert sich Anne auf das Bild mit einer jungen Frau. Sie steht vor dem Eifelturm und spritzt sich zur Erfrischung Mineralwasser ins Gesicht. Die Tropfen werden von der Sonne reflektiert und glitzern wie fliegende Perlen.
    Die Fahrstuhltüren öffnen sich. Tomke und Anne sehen sich in der Spiegelwand im Fahrstuhlinneren entgegen. Beide unnatürlich blass mit geröteten Augen. Annes schwarze Kleidung und Tomkes farbloser Parka unterstreichen den Eindruck, dass sie zu einem Kondolenzbesuch unterwegs sind. Erschreckt schauen sie zur Seite und starren wie gebannt auf den elektronischen Etagenanzeiger. Eins.
    Die Tür öffnet sich wieder. Sie geben sich einen Ruck und verlassen den Fahrstuhl. Es riecht penetrant nach Desinfektionsmittel. Kaum hat Anne den Geruch in der Nase, muss sie heftig niesen. Sie gehen nach links und stehen vor einer breiten Tür aus Blindglas. Daneben ein Schild mit roten Buchstaben: Intensivstation – Kein Eintritt. Besucher bitte klingeln!
    Sie bleiben unschlüssig stehen. Tomke ringt sich durch und drückt den Knopf. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis ein Schatten hinter der Scheibe sichtbar wird. Die Tür wird geöffnet und ein junger Mann im grünen Zweiteiler steht vor ihnen. Er sieht abgehetzt aus, aber er bemüht sich um ein professionell freundliches Lächeln.
    »Moin, wir gehören zu Herrn Habermann«, sagt Tomke wieder ihren Spruch auf.
    »Sind Sie Angehörige von ihm?«, fragt der Pfleger. Sein Blick ruht prüfend auf Anne, die mit tränenden Augen und Taschentuch vor der Nase dasteht und gerade versucht, ihre Niesattacke in den Griff zu bekommen.
    »Nein, wir sind keine Angehörigen. Wir – wir sind Bekannte von Frau Habermann. Wir fahren sie«,
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