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Die Pension am Deich: Frauenroman

Die Pension am Deich: Frauenroman

Titel: Die Pension am Deich: Frauenroman
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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erwidert Tomke unbeholfen.
    »Dann nehmen Sie dort Platz.« Er weist auf eine Nische, die vor dem Intensivbereich im Dunkeln liegt.
    »Sagen Sie bitte Frau Habermann, dass Tomke und Anne hier warten.«
    Er nickt, schließt die Tür und entfernt sich eilig.
    »Jetzt wissen wir immer noch nicht, wie es ihm geht«, bedauert Anne. »Wir hätten nachfragen sollen.«
    Tomke winkt ab. »Ja, hätten wir. Aber wir hätten keine Antwort bekommen. Da sind die eigen. Wir müssen warten, bis Monika uns Bescheid sagt.«
    Sie dreht sich um und verschwindet in der dunklen Sitzecke.
    »Komm her«, fordert sie von dort Anne auf. Die zögert. »Gibt es hier denn keinen Lichtschalter?«
    »Doch, gibt es. Aber lass ihn aus. Ich sitze nicht gerne im grellen Licht und warte«, erklärt Tomke.
    Anne gehorcht und setzt sich neben sie. Es ist hier nicht so dunkel, wie sie befürchtet hat. Im sanften Dämmerlicht kann sie Stühle und einen kleinen Tisch mit Illustrierten erkennen. Von ihren Plätzen können sie gut den Eingang zur Intensivstation beobachten. Aber dort passiert nichts. Keine Silhouette, die sich ihr nähert. Kein Geräusch. Nur Stille.
    Wie viele Menschen hier wohl mit bangem Herzen gewartet haben, schießt es Anne durch den Kopf. Wie viele Tränen, wieviel zerstörte Hoffnung, ausgelöschte Leben. Gravierende Veränderungen von einer Minute zur anderen.
    »Meinst du, glaubst du, dass er stirbt?« Während Anne mit dünner Stimme die Frage stellt, ist ihr bewusst, wie kindisch sie ist. Woher soll Tomke die Antwort wissen.
    »Keine Ahnung«, antwortet sie erwartungsgemäß. »Ausgesehen hat er jedenfalls wie Tod auf Latschen.« Tomke atmet tief durch. »Verdammt noch einmal, wie kann man von zwei Schlaftabletten einen Herzkasper bekommen? Erklär mir das mal?«
    »Na ja, das werden wohl nicht nur die Tabletten gewesen sein. Sondern der Schock. Eine fremde nackte Frau neben ihm im Bett. Monikas Mann scheint irgendwie sehr – moralisch zu sein.«
    Tomke fährt sich mit beiden Händen über ihren Stoppelkopf.
    »Puh, Moral. Wer kann ahnen, dass der Mann so sensibel ist.«
    Anne nickt beschämt.
    Damit hat sie auch nicht gerechnet. Niemals. Sie hat sich so unbekümmert auf das gemeinsame Aushecken der Geschichte eingelassen. Es hat ihr Spaß gemacht. Ja, Spaß. Es war wie gutes Schreiben. Dabei hat sie völlig vergessen, hier geht es um das wirkliche Leben. Monikas und Franks Leben.
    »Hätten wir dem Arzt nicht sagen sollen, dass er zwei Schlaftabletten intus hat?«, fragt Anne leise.
    »Das fällt dir reichlich früh ein. Habe ich auch dran gedacht, aber das hätte uns nur in Teufels Küche gebracht und Frank nicht wirklich geholfen.«
    Tomke rückt näher an Anne heran und lehnt sich an sie. Die Körperwärme der anderen zu spüren ist angenehm und tröstend.
    Sie reden nicht mehr. Sie starren nur angespannt auf die Tür zur Intensivstation. Von Zeit zu Zeit nähert sich ein Schatten und beide Frauen richten sich auf. Aber jedes Mal entfernt er sich, ohne dass die Tür geöffnet wurde.
    »Wenn er das hier überlebt, töne ich mein Haar wieder und lasse es auch wachsen«, verkündet Tomke plötzlich feierlich. »Und Paul ist endgültig Vergangenheit!«
    Anne greift gerührt nach ihrer Hand. So ein Versprechen würde sie auch gerne vorbringen. Ein richtiges Opfer. Ihr fällt dazu nur ein ebenbürtiges ein: Kees-Jan. Sie könnte hier und jetzt versprechen, ihn endgültig loszulassen, wenn Herr Habermann wieder gesund wird. Sie schluckt, versucht es. Sie bringt kein Wort über die Lippen. Was, wenn sie den Schwur nicht einhalten kann? Wenn sie zu schwach ist? Betroffen muss sie sich eingestehen, den Schwur will sie noch nicht leisten. Sie hat Angst, er könnte in Erfüllung gehen. Deshalb schweigt sie und hält nur Tomkes Hand. Wie lange? Zeitspannen sind, wenn man wartet, nicht einzuschätzen. Sie erscheinen immer endlos lang.
    Die Mechanik der Glastür surrt. Anne und Tomke schrecken hoch. Monika verlässt allein den Intensivbereich und bleibt unschlüssig auf dem Flur stehen.
    »Wir sind hier«, meldet sich Tomke mit heiserer Stimme. Sie springt hastig auf und kommt dabei ins Taumeln. Anne hakt sie fest unter. Gemeinsam eilen sie zu Monika. Erst hier, im grellen Deckenlicht der Flurbeleuchtung, können sie erkennen, wie verweint sie aussieht.
    »Und? Wie geht es deinem Mann?«, fragt Tomke beherzt. Obwohl ihr bei Monikas Anblick sofort das Herz in die Hose gerutscht ist. Anne bringt keinen Ton heraus.
    »Es ist kein Infarkt.
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