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Die Patin

Die Patin

Titel: Die Patin
Autoren: Gertrud Höhler
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Konsistenz mit allem andern, was sie vorträgt, fehlt. Dennoch ist ihr dankbarer Beifall sicher: Vielleicht, so die Hoffnung der Parteifunktionäre, kommt die neue Herrin doch noch in der Wertelandschaft an, wo sie alle sich auskennen.
    Auf den ersten Blick erstaunlich ist es, dass ausgerechnet Joachim Gauck, ein Mann aus demselben Teil Deutschlands wie Angela Merkel, in Worte fasst, was kein Westpolitiker beschreiben kann oder zu beschreiben wagt: «Ich respektiere sie, aber ich kann sie nicht richtig erkennen.» Ein Satz von mythischer Wucht – denn natürlich würde er Angela Merkel auf der Straße erkennen.
    Was Gauck ausspricht, ist ja das Undercover -Element in Merkels Auftreten: Keiner soll sie wirklich erkennen, sie will schwer lesbar sein. Was Gauck, im Gegensatz zu allen braven Merkel-Jüngern, anmeldet, ist schlicht die Normalität: Zeig mir dein Gesicht, ich kann dich nicht erkennen. Zeig mir auch deine Ziele, deine Wertvorstellungen, dein Commitment , das du mit andern teilst, für eure gemeinsame Sache. Genau dieses Verlangen liegt quer zum Machtkonzept der Kanzlerin, in dem so viele nie ausgeprochene Grundsätze schlummern: Lass dich nicht ausrechnen, verhülle dein Gesicht, um nicht gestellt zu werden.
    Was Joachim Gauck sagt, ist umso erstaunlicher, weil er aus demselben System, in dem auch Merkel lebte, gegenteilige Konsequenzen für seine Wertordnung gezogen hat.
    Joachim Gauck will nie mehr sein Gegenüber nicht erkennen. DDRAlltag war genau dies: lauter Leute in Deckung, Verratene und Verräter, oft beides in einer Person. Nicht erkannt werden, immer unter der Maske bleiben, das war Alltagsprogramm für die meisten. Wer erkennbar wurde, wie Joachim Gauck, weil er sich nicht versteckte, geriet in die Racherituale der Staatsmacht. In Freiheit, so meint Gauck mit seinem schmerzlichen Satz über Angela Merkel, darf man doch erkennbar sein für die andern – und darf man sein Gegenüber erkennen – mit unverhülltem Gesicht und unverstellten Absichten. Wenn die Freiheit das nicht bringt – was bringt sie dann?
    Angela Merkel hat für sich die umgekehrte Konsequenz gezogen. Wo alle durch eine Werteordnung verbunden sind, die Pathos produziert, da wird man nie ganz dazugehören, wenn man die Lektionen des Misstrauens, des Wegtauchens, der Tarnkappe gelernt hat. Also ist man ohne das Westgepäck mächtiger als das Kollektiv der Westler – zumal sie alle die Philosophie der Angela Merkel nicht durchschauen. Was sie vor allem unterschätzen: Angela Merkel war nicht auf dem Weg ‹nach Hause›, als sie in den Westen kam; ‹zu Hause› waren hier die Männer, die sich bald als ihre Rivalen aufbauten, konsterniert, kannitverstan, wie wenn ein Alien in ihrer Mitte gelandet wäre. ‹Ich kann sie nicht richtig erkennen›, warum hat das keiner dieser Männer gesagt, warum hat keiner gefordert: Gib dich zu erkennen, öffne das Visier? Weil sie alle mit der Gefährdung ihrer eigenen Macht beschäftigt waren.
    Insofern hatte Joachim Gauck die besseren Erkenntnisgrundlagen: Er wollte nicht Merkels Machtpositionen für sich; er wollte, was nur ein freier Mensch fordern kann: Wenn du bei uns große Politik machen willst, dann gib dich zu erkennen.
    Immerhin eine niederschmetternde Erkenntnis, dass keiner aus der Sphäre der Freiheit die richtige Frage stellte: ‹Wer bist du?›
    Sich zu erkennen geben, das gehörte ebenfalls in der mittelalterlichen Welt der schwer gerüsteten Ritter dazu, wenn man eine Kraftprobevorbereitete. Auf Rufweite gaben sich die Rivalen zu erkennen. Dazu gehörte ihre Herkunft, der Name und der Anspruch, mit dem sie den Kampfplatz betraten. Im Lichte solcher Traditionen des Respekts erscheint es grotesk, dass die unbekannte Fighterin, die undurchsichtig in die eingespielten Konkurrenzen eintrat, von niemandem aufgefordert wurde, ihr Gesicht zu zeigen. Alle hatten ihre eigenen Interessen und Phobien, und jeder war zu feige, und das über Jahre, die Frau vom anderen Stern zu stellen: ‹Wir respektieren dich› – das wäre die Gaucksche Annäherung gewiesen. ‹Dies vorweg gewährt, möchten wir dich bitten: Gib dich zu erkennen.›
    Die Kanzlerin enteignet SPD-Botschaften: Die Parteigrenzen verschwimmen
    Auch die schwarz-rote Koalition von 2005 bis 2009 war für Angela Merkel noch Testgelände: Alle Fenster in die Zukunft öffnen, ohne den Regierungspartner von heute zu verprellen. Wer weiß, mit wem die Reise übermorgen weitergeht. Beide Partner in der seltenen Konstellation
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