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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
Autoren: Monika Zeiner
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das ganze Lied hin steigt, während es gleichzeitig, wie gespiegelt, in immer tiefere Dunkelheit sinkt. »In stillen Nächten weinet /oft mancher aus dem Schmerz /und morgens dann ihr meinet /stets fröhlich sei sein Herz.«
    Erst später bemerken sie, dass Marc in der Tür lehnt. Auch er im Schlafanzug, im Schlaf-T-Shirt (ein Volksbühnen-Pulli, mit dem runden Logo des Theaters). Er hat zugehört, lächelnd, versunken, den Blick irgendwo am Fußboden vergessen.
    Auch Hollers Blick liegt jetzt am Fußboden, auf den Glasscherben. Berlin heute, nicht 1995. Aber was genau, denkt er, sind Jahreszahlen, woraus sind sie gemacht? Er wüsste nicht, dass sich diese rund zwölf, dreizehn Jahre irgendwo befänden, dass er auf sie deuten und sie wie verstaubte Bücher aus einem Regal herausziehen und auf einem Bibliothekstisch ausbreitenkönnte. Stattdessen sieht er das zerbrochene Glas auf den Holzdielen: Das ist die Gegenwart, denkt er. Ein Glas, das zerbrochen ist, ist zerbrochen, zum Beweis dafür, dass die Ereignisse der Vergangenheit nicht rückgängig gemacht werden können. Oder doch?
    Er steht auf, holt Lappen, Schaufel und Besen, er kehrt die Scherben aufs Blech. Aus dem Küchenschrank nimmt er ein neues, sauberes, intaktes Glas, füllt Whiskey hinein, trinkt und wartet, bis die goldene Flüssigkeit ein Flämmchen in seinem Körper anzündet. Mit dem dritten Schluck fällt ihm der Abschiedsbrief ein.

DAS NEUE LEBEN
    Keineswegs brach jetzt Licht durch das kahle Geäst der Bäume, sondern es war immer noch kalt, und alles lag konserviert in einem trüben, einfarbigen, geleeartigen Himmel, der auch die Räume zwischen den Häusern bis hinab auf die Straßen auszufüllen und selbst das Strömen der Passanten und des erleuchteten Verkehrs in der Bewegung festzubannen schien.
    Als Tom Holler zum zweiten Mal an diesem Tag in der Kastanienallee vor Heddas Haus stand, hatte er plötzlich das Gefühl, gar nicht mehr da zu sein, das Leben einen Augenblick lang von weit oben zu betrachten. So also wird es sein, dachte er und staunte: nämlich wie immer. Aber er ging durch den hohen dunklen Torbogen der Einfahrt ins Innere des Hofes wie in die Gegenwart zurück. Hier roch es nach frischer Farbe und feuchtem Holzlack, denn Heddas neues Leben bekam auch ein neues Gehäuse, neue Hochglanzverpackung, was er ihr gönnte, wenn es auch mit dem Umstand verbunden war, dass alle Fensterder Loftetagen derzeit mit Bauplanen verhüllt waren und auf den gerippeartig hinter den Planen sich abzeichnenden Gerüsten Bauarbeiter gemächlich hin und her gingen. Auch im Treppenhaus, aus dem der Geruch von Lack herauswehte, stand ein Arbeiter, der das Geländer grundierte, die Caprifischer pfeifend. Obwohl er es nicht wollte, pfiff Holler in Gedanken mit. Zum zweiten Mal an diesem Tag stand er vor dem nagelneu glänzenden Hedda-Groning-Briefkasten. Bella bella bella Marie, vergiss mich nie .
    Hedda Groning, die ihn sicher bald vergessen würde, was er ihr wünschte, wusste nicht viel über Betty Morgenthal. Fast nichts über sie, dachte er, das Nötigste nur. Dass es B. M. einmal gegeben hatte und vielleicht irgendwo immer noch gab, zwischen den Zeilen seines Lebenslaufs, denn in Lebensläufen kommt es meist nicht vor, dass und wen man einmal geliebt hat. Und auch als sie B. M. gemeinsam fast begegnet wären, hatte er Hedda nichts gesagt, wie hätte er es auch tun können, auf dem Flughafen in Rom, auf ihrer ersten gemeinsamen Italienreise, verspäteten Hochzeitsreise.
    Da waren sie, Hedda Groning-Holler und Thomas Holler – (Hedda hatte ihn nie Tom genannt, immer Thomas) –, das gewesen, was landläufig als ein schönes Paar bezeichnet wird. Wenigstens die junge Ehefrau war schön gewesen, was genügen mochte, weil ihre Schönheit den eher unscheinbaren Begleiter, so empfand er sich, wie ein Glanz überströmte und in ein positives Licht setzte – denn irgendetwas musste ja an ihm sein, innere Werte vielleicht, Geld, wie sich Außenstehende angesichts des jungen, glücklichen Paares gedacht haben mochten, das in Rom am Flughafen stand und auf sein Gepäck wartete, das aber nicht kam.
    Das ist halt Italien, hatten sie sich gesagt, lachend, er hatte sie auf die Wange geküsst, und in diesem Moment sah er über ihre Schulter hinweg Betty Morgenthal mit einem Rollkoffer vorübergleiten. Das glatte Haar etwas kürzer als früher, aber nach wie vor rostfarben, über den Schultern schnurgerade abgeschnitten, eine schaukelnde Fläche, und das Gesicht, das
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