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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
Autoren: Monika Zeiner
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nichts.
    Hedda blickte in die Tiefe des Flurs. »Du siehst dünn aus«, sagte sie.
    »Ich bin dünn«, sagte er, dachte aber, dass sie ihn unwesentlich vorher für zu dick gehalten hatte.
    Sie lächelte mit ihrem linken Mundwinkel. Beide sahen knapp aneinander vorbei in entgegengesetzte Ecken des Flurs, der sich auszudehnen und zu krümmen schien, bis Hedda, um sich zu retten aus dem Abgrund der Jahre, den Kopf noch höher hob und zu reden begann. Leider habe sie es total eilig, sagte sie mit ihrer ihn an einen nordischen Fluss erinnernden Stimme, und indem sie hastig an ihm vorbei in Richtung Schlafzimmer strebte, begann sie, etwas lauter als notwendig die Dinge aufzuzählen, die sie mitzunehmen beabsichtigte.
    Holler, der mit verschränkten Armen an der Wand lehnte, hatte kurz den Eindruck, als ginge sie direkt ins Dunkel der Vergangenheit hinein. »Nimm ruhig alles mit«, sagte er.
    Unter anderem, rief Hedda, die ihn gar nicht gehört hatte, handle es sich nämlich um die dreibeinige Mahagoni-Kommode, die gerahmte Italien-Fotografie über dem Esstisch, einige weitere Bilder, außerdem noch dies und das, technische Kleinund Küchengeräte und die Keramikschüssel mit dem Pflanzenmuster, ein Hochzeitsgeschenk, wie er wisse, einer norwegischen Verwandten, Kunstsammlerin in Oslo, deren Hund, ein gewisser Hanno, Mops, ihm, wie er sich vielleicht erinnere, bei einem Besuch einmal fast das Hosenbein zerrissen hätte, der sei jetzt übrigens gestorben, rief sie aus einem der Zimmer, als müsse das eine Genugtuung für ihn sein. Wo denn die Schüssel sei?
    »Ich weiß nicht mehr, ich glaube, sie ist mir kaputtgegangen«, rief er. Auf einmal sah er Hedda wieder im Türrahmen, eingehüllt von Frostdunst, der aus dem beleuchteten Hausflur mit ihr hereingeströmt war. Er sah sie in einem Park, sieben Jahre jünger. In einem sie schattenhaft bedeckenden Kleid.
    »Na ja, mach dir nichts draus!«, rief sie.
    »Ich mach mir eigentlich nichts draus.«
    »Was?«
    »Nichts.«
    Mit viel Abstand, so dass ihre Schulter die Wand streifte, ging sie an ihm vorbei über den Flur und bahnte sich den Weg durch den Müll, schwebte fast darüber hinweg auf einem Luftkissenboot der Höflichkeit. Ihr aufrechter Rücken, das eiserne Lächeln, wenn ihr Absatz doch einmal in der Schaumstoffverpackung eines chinesischen Nudelgerichts stecken blieb, ihre geschäftigen Bewegungen und ihr selbstverständlicher, zu selbstverständlicher Gang, signalisierten ihm, dass sie den Müll gar nicht sah , dass er ihretwegen Müll anhäufen konnte, so viel er wollte, und ruhig eine Müllsammlung anlegen sollte, ein Abfallmuseum, wenn er Lust dazu hätte. (Hatte er aber nicht.)
    Er sah die Spitze ihres Pferdeschwanzes hinter der Badezimmertür verschwinden.
    Wenn er eines Tages den MP3-Player finden sollte, sagte sie, dann könne er ja anrufen. »Welchen MP3-Player noch?«, fragte er, aber seine Ehefrau hörte ihn nicht, weil sie im Badezimmer klapperte. Ob sie das Arzneischränkchen mitnehmen könne, rief sie, da seien noch allerhand Sachen drin. »Klar, schmeiß einfach alles auf den Boden«, sprach er, hörte aber, wie die Ehefrau alles ausräumte und auf die Waschmaschine stellte, klack, klack und klick. Dann stand sie hochaufrecht im Flur. »So«, sagte sie. Ihre Gegenstände hatte sie neben der Eingangstür zu einem Turm aufgestapelt, und Holler überlegte, ob er sich unbemerkt daruntermischen sollte. »Gut! Dann hast du ja alles«, sagte er.
    »Ja. Ich denke, ich habe alles«, sagte sie, aber sie zögerte, und ihr Gesicht wurde weich, schien an Tiefenschärfe zu verlieren, während sie ohne den geringsten Vorwurf ihm gegenüber (ernahm es erstaunt zur Kenntnis) mit ihren schlanken Fingern langsam über die Italien-Fotografie wischte, um den Staub zu entfernen.
    »Weißt du noch, wie es hieß?«, wollte er fragen – die Fotografie war in irgendeinem August entstanden, da sie, während alle vernünftigen Menschen ans Meer fuhren, für eine Woche in einem glühenden Bergdorf nahe Bari gewesen und stundenlang verdorrte Hügel hinauf- und hinabgewandert waren –, aber da hatte sich ihr Gesicht schon wieder geschärft, und er ließ es sein. (»Nie tust du etwas!«) Er überlegte nur, wo all die Zeit hingekommen war, und Hedda sagte: »Ja, ich glaube, das war’s tatsächlich.«
    Als sie, ohne seine Hilfe in Anspruch zu nehmen, gegangen war, erschien ihm die Schneekugelstille vollkommen. Ins Schlafzimmer floss etwas Straßenlicht und beleuchtete das helle
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