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Die Oder Ich

Titel: Die Oder Ich
Autoren: Wilfried Eggers
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mir die Hose herunter und sich selbst den Gürtel heraus, die Schnalle ließ er auf mein Fleisch sausen, und ich biss die Zähne zusammen, so fest, dass es in den Ohren rauschte und ich nichts mehr fühlen konnte und nichts mehr hören konnte, noch nicht einmal, wie er brüllte, dass er es bedauerte, mich gezeugt zu haben, und dass es ihm leid täte, dass sie es nicht geschafft hätten, mich Missgeburt rechtzeitig wegmachen zu lassen, das sei ja unter Adolf nicht gegangen, du verdienst es nicht zu leben, brüllte er mit rotem Kopf, Geifer spritzte ihm von den Lippen und mir das Blut von meinem mageren Hintern, aber kein Laut kam aus mir und keine Tränen.
    Den Gefallen tat ich ihm nicht.
    Damals hatte ich mich vorbereitet, mich zu wehren, zu verteidigen, zu kämpfen. Eines Tages. Später.

1. Kapitel
     
    Mit dem die Geschichte ganz harmlos anfängt und
Rechtsanwalt Schlüter lernt, Tomaten zu hassen
     
    Wochenende. Freitag. Früher Abend, Dämmerung. Der beste Abend der Woche. Zwei Tage Freiheit, zwei Tage nicht ins Büro, zwei Tage lesen und Tee trinken, und das bei Sonnenschein.
    Rechtsanwalt Peter Schlüter, den manche seiner Kollegen auch ›den Fuchs‹ nannten, interessierte sich für den Wetterbericht, seit dem Umzug nach Engelsmoor. Er sehnte sich nach Licht und Sonne, denn sie waren das Beste an dem neuen Leben, sie hatten seine Depression gelöst, die Vereisung aufgetaut, die ihn nach jener schrecklichen Reise in die Türkei umschlossen hatte. Hier im Engelsmoor schien die Sonne rund ums Haus, hinein ins Herz. Dagegen war die alte Wohnung im Gerbergang in der Hemmstedter Altstadt dunkel gewesen, nur nachmittags leuchtete die Sonne ins Wohnzimmerfenster. Endlich fort von den vielen Gesichtern, fort in die weite Einsamkeit der Weiden und Moore.
    Seit zwei Jahren wohnten sie nun schon auf dem Land. Das alte grabertsche Altenteilerhaus in Engelsmoor hatte zum Verkauf gestanden, nachdem die Hofstelle verwaist und das Land an die anderen Bauern verkauft oder verpachtet worden war. Die beiden Söhne wollten die mühselige Moorwirtschaft nicht weiter betreiben; der Hof war zu klein, der Investitionsstau zu groß. Also hatten Schlüters den bescheidenen Ziegelbau gekauft, der in den Sechzigerjahren dreihundert Meter von der Hofstelle entfernt errichtet worden war. Eigentlich hätte Schlüter lieber gemietet, um unabhängig zu bleiben, aber Grabert wollte nur verkaufen, und nun saßen sie hier draußen, eins fünfzig unter Normalnull, fünfzig Meter von der Moorstraße entfernt, ans Eigentum gekettet und allein, abgesehen von einem Kater, den sie übernommen hatten. Er hieß Gustav, nach dem alten Grabert, und ihm war es egal, wer ihn fütterte, Hauptsache der Napf war voll und der Igel klaute nicht allzu frech.
    Die Bücher waren bei dem Umzug das größte logistische Problem gewesen, denn im Gerbergang in Hemmstedt waren sie auf zwei Wohnungen verteilt gewesen, auf eine Wohn-Wohnung mit vielen Büchern und eine nebenan gelegene Bücher-Wohnung, die sie dazugemietet hatten. Im Erdgeschoss das große Wohnzimmer ging nach Süden, davor befand sich die Terrasse und der Rosengarten. Auf gleicher Ebene war die Küche, die sie aus ihrem Zellendasein befreit und dem Wohnzimmer zugeschlagen hatten, außerdem ein Esszimmer, wie man es früher hatte, das zum Arbeitszimmer für Christa geworden war. Im Obergeschoss gab es außer dem Badezimmer drei Räume, von denen sie eines als Schlafzimmer und die beiden anderen, nun durch einen Durchgang miteinander verbunden, als Zweitbibliothek nutzten. Der Spitzboden darüber war nur über eine ausziehbare Stiege erreichbar und eignete sich nicht für Bücher. Immerhin war es mithilfe des Tischlers gelungen, auf den übrigen Flächen einigermaßen Regalplatz zu schaffen.
    Während Christa in ihrem neuen Landleben aufging, Rosen pflanzte und pflegte und neue Blumenbeete anlegte, neben dem Haus Zwiebeln, Salat und sogar Kartoffeln anbaute wie die anderen Landfrauen im Moor, zweifelte Schlüter, ob es richtig gewesen war, aus der Stadt fortzugehen, nur weil er nach der fatalen Reise in die Türkei in eine depressive Phase geraten war und einen Tapetenwechsel gebraucht hatte. Er war mehr mit der Kleinstadt verwachsen, als er gedacht hatte.
    Das Leben hatte sich geändert und mit ihm die Bücher, die man las. Hier draußen erlebte man den ruhigen Atem der Natur, die verlässliche Wiederkehr der Jahreszeiten, und während die Amsel oben auf dem höchsten Ast der Erle ihre selbst
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