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Die Obelisken von Hegira

Die Obelisken von Hegira

Titel: Die Obelisken von Hegira
Autoren: Greg Bear
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nassem, verfaulendem Holz vermischte sich mit der Ausdünstung der Gäste der Herberge. Es war ein elender Platz zum Sterben. Und darum, schwor sich Bar-Woten, würde der junge Mann nicht sterben.
    Er läutete eine mit Grünspan überkrustete Glocke. Der halb besoffene Besitzer erschien kurz darauf. Er verlangte ihnen Namen und Geld ab und hob eine haarlose, wurmweiße Augenbraue angesichts des Büßers. „Könnt Ihr einen Arzt rufen?“ fragte Bar-Woten.
    „Nein“, sagte der Besitzer, schon wieder auf dem Weg nach hinten in sein Zimmer. „Wenn er stirbt, müßt ihr ihn wegschaffen.“
    „Ich bin ein Ibisier“, sagte Bar-Woten sanft. „Wenn dieser Mann hier stirbt, werde ich dafür sorgen, daß dieses Gebäude geschlossen wird.“
    Der Besitzer verhielt und wandte sich um, um sie neuerlich zu mustern. „Einen Arzt könnt Ihr einen Block die Straße hinunter finden. Er wird Euren Gefährten verbinden und seine Wunden reinigen. Aber wir haben mit Büßern nicht gern was zu schaffen. Die sind nicht sonderlich beliebt hier.“
    „Und Ibisier?“ fragte Bar-Woten sondierend.
    „Unbewaffnete Ibisier sind auch nur Menschen“, sagte der Besitzer. „Ich habe meine Jungs, die für Ordnung sorgen, wie jeder andere Wirt in diesem Viertel. Sie tragen Gewehre und Armbrüste. Ihr auch?“ Er drehte sich um und schwankte davon.
    Bar-Woten nahm den Schlüssel von der Theke und befahl Barthel, den Wundarzt herbeizuholen. Dann wuchtete er den Pönitenten vom Fußboden hoch und schwang ihn sich über die Schulter.
    Die Treppe war steil und in schlechtem Zustand. Das Zimmer war abscheulich. Ein offenes Oberlicht ließ ungehindert Regen ein, bis Bar-Woten schließlich eine schmutzige Decke davorband. Die Betten waren in guter Verfassung und sahen sauber aus. Vielleicht wurde hier auf die Durchsetzung der gesundheitspolizeilichen Vorschriften hinsichtlich Betten geachtet, aber die Sanitäreinrichtungen waren völlig unzulänglich; Toiletten gab es eine pro Flur, allseits frei zugänglich, und andere Bestimmungen endeten an der Kante der Matratze. Papierschnipsel und Abfälle besudelten den zerrissenen Flickenteppich.
    Der Büßer seufzte, rollte hinüber auf das Bett, stöhnte dann. Bar-Woten zog ihm die blutigen Kleider ab und trug das Rasierbecken den Flur hinunter, um es zu reinigen und mit Wasser zu füllen.
    Die Rohre wummerten schrecklich in dem engen Waschraum. Als er zurückkam, saß der Mann aufrecht, gegen die Kopfleiste gelehnt, und starrte fiebrig in den leeren Raum. Mit einer Handvoll körnig zerriebener Seife und Papierhandtüchern begann Bar-Woten ihn sauberzumachen. Nur wenige der Wunden waren tief entzündet. Trotzdem, so wußte er, würde man ein Antiseptikum auftragen und saubere Verbände anlegen müssen, oder es würde zu einer Blutvergiftung kommen. Er hatte auf dem Langen Marsch viele Male gesehen, wie kleine Verletzungen so lange schwärten, bis sie sich in tödliche, faulige Wundtaschen verwandelt hatten.
    Barthel kehrte eine halbe Stunde später mit einem kleinen, verrunzelten Arzt zurück. Der Mann sagte, sein Name sei Luigi, untersuchte den Büßer rasch und verlieh seiner Abneigung Ausdruck, ihn zu behandeln. „Er ist einer von denen, die sich in Gottes Hand gegeben haben“, sagte er. „Gott wird sich um ihn kümmern.“
    „Ihr werdet Euch um ihn kümmern, oder er wird sterben“, sagte Bar-Woten. „Ihr möchtet doch sicherlich nicht wegen eines Kunstfehlers angeklagt werden, oder? Ich kann das bei einem Deputierten gegen Euch vorbringen, wenn Ihr es wünscht.“
    Der kleine Arzt zuckte die Achseln und stellte sein Köfferchen ab. „Ihr habt ihn gesäubert?“ fragte er. Bar-Woten nickte. „Ich werde es noch einmal machen müssen“, beklagte sich der Doktor. „Der hat sich in ein tüchtiges Fieber hineingepeitscht!“
    Eine Stunde später war der Büßer verbunden und schlief unruhig. „Er wird einen Tag lang schwach sein, vielleicht auch länger. Warum wollt Ihr einem Büßer helfen? Hat er Euch um Hilfe gebeten?“
    Bar-Woten antwortete nicht. Barthel dankte dem Doktor und entlohnte ihn mit einem Goldstück. Sie saßen schweigend da und schliefen vor dem Morgen ein.
     
    Bar-Woten kletterte unter der Luke auf einen wackeligen Stuhl, hob die fleckige Decke an und spähte über die rauchgezeichneten, dunstigen Hausdächer hinaus ins Morgenlicht. Die schiefer- und ziegelgedeckten Dächer schimmerten im öligen Glanz des Taus und reflektierten den goldenen Zenit. Der Himmel war noch
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