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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten
Autoren: Roberto Bolaño
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Josefina Aldecoa anbieten. Als Bäuerinnen aus Recanati sollten Adelaida García Morales und Carmen Martín Gaite auftreten. Giordani, seinen treuen Freund und Briefpartner, eigentlich ein ziemlicher Frömmler, würde Muñoz Molina übernehmen. Manzoni: Javier Marías. Zwei Kardinäle des Vatikans, zittrige Latinisten, schandbare Hellenisten: Cela und Juan Goytisolo. Den Onkel, Carlo Antici, sollte Juan Marsé geben. Und den Verleger Stella würde man Herralde antragen. Fanny Targione, die flatterhafte, allzu menschliche Fanny, Soledad Puértolas. Und dann gäbe es einige Gedichte, die man zum besseren Verständnis für die Zuschauer von Schauspielern darstellen ließe. Anders gesagt, die Gedichte sollten physisch in Erscheinung treten, nicht als eine Aneinanderreihung von Worten. Um ein Beispiel zu geben: Leopardi schreibt »Das Unendliche«, und unter seinem Tisch kriecht in einer kurzen, aber effektvollen Rolle Martín de Riquer hervor, obwohl Padilla arge Zweifel hegte, ob den illustren Professor der flüchtige Ruhm des Kinematographen verlocken konnte. Der »Nachtgesang eines Wanderhirten Asiens«, Padillas Lieblingsgedicht, sollte von Leopoldo María Panero verkörpert werden, nackt oder in einem winzigen Badehöschen. Eduardo Mendicutti würde »An Silvia« darstellen. Enrique Vila-Matas: »Die Ruhe nach dem Sturm«. »An Italien« der Dichter Pere Girau, Padillas bester Freund. Die Innenaufnahmen wollte er in seiner eigenen Wohnung in Eixample drehen sowie im Sportstudio eines Exgeliebten im Stadtteil Gracia. Die Außenaufnahmen in Sitges, in Manresa, im Barrio Gótico von Barcelona, in Girona, in Olot, im Palamós. Er hatte sogar eine absolut originelle und revolutionäre Idee, wie sich das Neapel des Jahres 1839 und die Neapel entvölkernde Choleraepidemie nachstellen ließe, eine Idee, die er an die großen Studios in Hollywood hätte verkaufen können, an die Amalfitano sich aber nicht mehr erinnerte.

4
     
Über Amalfitanos Ruin an der Universität von Barcelona
     
    Der Rektor und der Leiter des literaturwissenschaftlichen Instituts beauftragten Professor Carrera, Amalfitano über seine Situation an der Universität ins Bild zu setzen. Antoni Carrera war achtundvierzig, besaß eine antifrankistische Vergangenheit und eine auf den ersten Blick beneidenswerte gesellschaftliche Stellung. Er war, wie es schien, ein glücklicher und in Maßen zufriedener Zeitgenosse. Mit seinem Gehalt und dem seiner Frau, die an einem Gymnasium Französisch unterrichtete, zahlte er die Hypothek für ein altes Haus ab, das er nach seinen Träumen und dem einen oder anderen Spleen eines befreundeten Architekten renoviert hatte. Das Haus war phantastisch; es hatte sechs Zimmer, dazu einen riesigen, hellen Salon, einen Garten und eine kleine Sauna, die Professor Carreras ganzer häuslicher Stolz war.
    Ihr siebzehnjähriger Sohn maß eins neunzig und war ein guter Schüler, zumindest glaubten die Carreras das, die jeden Samstagnachmittag zuschauten, wenn er in einem Verein in Sant Andreu Basketball spielte. Alle drei erfreuten sich bester Gesundheit. Die Beziehung von Antoni Carrera und Anna Carrera hatte schwierige Zeiten durchgemacht, und in einer inzwischen fernen Vergangenheit hätten sie sich fast getrennt, aber das war lange her, und allmählich hatte sich die Ehe stabilisiert; jetzt waren sie gute Freunde, es gab Dinge, die sie miteinander teilten, aber im großen und ganzen lebte jeder sein Leben. Zu den Dingen, die sie miteinander teilten, gehörte die Freundschaft zu Amalfitano. Als dieser neu an die Universität kam, kannte er niemand, und weil Carrera Mitleid mit ihm hatte, und die ungeschriebenen Gesetze professoraler Gastfreundschaft zu achten waren, veranstaltete er ein Abendessen in seinem gemütlichen und großartigen Haus, ein Essen, zu dem er Amalfitano und drei weitere Kollegen des Fachbereichs einlud. Es wurde ein untypischer Abend. Weder kannten die Professoren Amalfitano, noch waren sie besonders daran interessiert, ihn kennenzulernen (die lateinamerikanische Literatur weckte keine Leidenschaft mehr); die Ehefrauen der Professoren machten den Eindruck, als langweilten sie sich königlich; seine eigene Frau war nicht besonders guter Laune. Und Amalfitano erschien nicht zur vereinbarten Zeit. Er kam vielmehr mit großer Verspätung, und die hungrigen Professoren wurden ungeduldig. Einer schlug vor, ohne ihn anzufangen. Die Mehrheit hätte sich bereitwillig auf seine Seite geschlagen, wäre Anna Carrera nicht
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