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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten
Autoren: Roberto Bolaño
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seinen Freunden zu weinen oder schallend zu lachen.
    Die gemeinsamen Abende endeten gewöhnlich in den frühen Morgenstunden, wenn Carrera Amalfitano in seinem Wagen nach Hause fuhr, ans andere Ende von Barcelona, und sich während der Fahrt fragte, warum es ihm so leichtfiel, mit ihm zu Vertraulichkeiten zu gelangen, zu jenem Vertrauen, das zu schenken ihm sonst so schwerfiel. Amalfitano wiederum gewöhnte sich daran, die Fahrt im Halbschlaf zurückzulegen, unter halb geschlossenen Lidern die leeren Straßen zu betrachten, die gelben Schilder, die erleuchteten, dunklen Gebäude, mit sich im reinen in Carreras Auto, darauf vertrauend, wohlbehalten bei seiner Wohnung anzukommen, die er geräuschlos betreten würde, in der er sein Jackett an den Haken hängen, ein Glas Wasser trinken und vorm Zubettgehen aus purer Gewohnheit noch einen Blick in Rosas Zimmer werfen würde.
    Und jetzt übertrugen der Rektor und der Leiter des literaturwissenschaftlichen Instituts, immer kluge, immer diskrete Menschen, ihm, Carrera, weil Sie doch mit ihm Kontakt haben, man könnte Sie als seinen Freund bezeichnen, auf Sie wird er hören (lag darin eine versteckte Drohung oder Spitze, die nur der Rektor oder der Dekan des Fachbereichs verstanden?), diese heikle Mission, die mit Takt, Anstand, Überzeugungskraft und Bestimmtheit zugleich zum Abschluss gebracht werden musste. Mit unerschütterlicher Bestimmtheit. Wer wäre da besser geeignet als Sie, Antoni? Wer für die Lösung des Problems besser geeignet als Sie?
    So war Amalfitano nicht erstaunt, als Carrera ihm sagte, er müsse die Universität verlassen. Jordi war auf Geheiß der Eltern in Rosas Zimmer verschwunden, und vom anderen Ende des Flurs drangen die gedämpften Klänge der Musikanlage herüber. Amalfitano blieb eine Zeitlang stumm, betrachtete den Teppich und die Schuhe der Carreras, die einer neben dem anderen auf dem Sofa saßen. Also möchten sie mich loswerden, sagte er schließlich.
    »Sie möchten, dass du freiwillig gehst, und das so diskret wie möglich«, sagte Antoni Carrera.
    »Wenn nicht, bringen sie dich vor Gericht«, sagte Anna Carrera.
    »Ich habe mit einigen Leuten aus der Abteilung gesprochen; es ist das Beste, was du tun kannst«, sagte Antoni Carrera, »andernfalls setzt du alles aufs Spiel.«
    »Was ist alles?«, wollte Amalfitano wissen.
    Die Carreras sahen ihn betrübt an. Anna stand auf, ging in die Küche und kam mit drei Gläsern zurück. Als ihr Mann ihr am gestrigen Abend eröffnet hatte, dass, und warum, Amalfitanos Tage an der Universität gezählt seien, hatte sie zu weinen begonnen. Wo hast du den Cognac?, sagte sie. Nach einigen Sekunden, in denen Amalfitano sich fragte, was zum Teufel die Frau wollte, erwiderte er, er trinke keinen Cognac mehr. Ich habe damit aufgehört, sagte er mit geschlossenen Augen, die Lungen vollgepumpt mit Luft, als wollte er einen Abhang erklimmen. Keinen Abhang, dachte Amalfitano, während er sich vorstellte, dass die gesamte Fakultät über seine Fehltritte im Bilde war, ein Gebirge. Das Gebirge meiner Schuld. In der Vorratskammer fand sich eine Flasche Apfellikör.
    »Jetzt beklage dich nicht«, sagte Antoni Carrera, als läse er seine Gedanken, »letztlich hast du dir das selbst zuzuschreiben. Du hättest dir deine Freunde besser aussuchen sollen.«
    »Ich habe sie nicht ausgesucht«, lächelte Amalfitano, »sie haben mich ausgesucht, sie oder das Leben.«
    »Nun werde nicht kitschig«, sagte Anna Carrera, im Grunde verärgert darüber, dass ein noch gut aussehender Mann, und sie fand ihn wirklich gutaussehend, mit seiner unbändigen weißen Mähne, dem schlanken, drahtigen Körper und der Statur eines Leinwandgalans, lieber mit wahrscheinlich pickelgesichtigen Jungs als mit Frauen ins Bett ging. »Du hast es verbockt und musst die Folgen tragen, du solltest jetzt daran denken, was für dich das Beste ist, und vor allem, was das Beste für deine Tochter ist. Wenn du den Aufstand probst, werden die vom literaturwissenschaftlichen Institut eine Schlammschlacht gegen dich lostreten«, sagte sie, während sie die drei Gläser bis zum Rand mit Apfellikör Viuda Canseco füllte.
    Was für eine klare und unmissverständliche Art, sich auszudrücken, dachte bewundernd und betrübt Antoni Carrera.
    Anna reichte ihnen die Gläser:
    »Hier, das können wir jetzt gut brauchen. Am besten, wir schicken die Kinder ins Kino und betrinken uns.«
    »Keine schlechte Idee«, sagte Amalfitano.
    »Die Universität ist ein Sauhaufen«,
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