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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten
Autoren: Roberto Bolaño
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lebten, der ich am Ende nach Brasilien ging, wo ich besser verdienen und mir die medizinische Behandlung leisten konnte, die meine Frau brauchte, ich, der ich mit meiner Tochter auf den Schultern an den schönsten Stränden der Welt badete, während Edith Lieberman, die schöner war als all diese Strände, uns vom Ufer aus zuschaute, barfuß im Sand, so als wüsste sie Dinge, die ich nie erfahren und die sie mir nie verraten würde, der ich Witwer wurde in einer Nacht wie aus Plastik und geborstenen Scheiben, nachts um Viertel vor vier, während ich am Bett von Edith Lieberman saß, Chilenin, Jüdin, Französischlehrerin, und im Nachbarbett eine Brasilianerin von einem Krokodil, einem mechanischen Krokodil, träumte, das ein Mädchen über Berge aus Asche verfolgte, ich, dessen Leben weitergehen musste, jetzt Vater und Mutter meiner Tochter, der ich aber nicht wusste wie und meinem Schmerz größeren Schmerz hinzufügte, der ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Haushaltshilfe einstellte, Rosinha, aus dem Nordosten Brasiliens, einundzwanzigjährige Mutter zweier Kinder, die sie in ihrem Dorf zurückgelassen hatte, und die zu einer guten Fee für meine Tochter wurde, ich, der ich eines Nachts, nachdem ich mir ihren Kummer angehört hatte, mit Rosinha schlief und für sie wahrscheinlich ein böser Zauberer war, der ich Osman Lins übersetzte und mich mit Osman Lins anfreundete, obwohl sich meine Übersetzungen nie verkauften, der ich in Rio die sympathischsten Linken der Welt kennenlernte, der ich mich aus Sympathie, aus Neigung, aus Streitlust, aus Liebe zur Kunst, aus einem verdammten Anstandsgefühl, aus Überzeugung, aus Jux und Tollerei, um etwas zum Lachen zu haben, auf die alten Händel einließ und Brasilien verlassen musste, mit gerade so viel Zeit, um das wenige zu packen, das wir tragen konnten, der ich am Flughafen sah, wie meine Tochter weinte und Rosinha weinte und Moreira sagte, was ist denn los mit diesen Frauen, und Luiz Lima sagte, schreibt uns, sobald ihr ankommt, der ich das Kommen und Gehen der Leute am Flughafen und das Gespenst von Edith Lieberman sah, größer als der Christus von Corcovado, das außer mir niemand sah, weder die Menschen, die kamen und gingen, noch meine Freunde, noch Rosinha, noch meine Tochter, das stumme, lächelnde Gespenst von Edith Lieberman, das wir zurückließen, ich, der ich ohne Arbeit und mit wenigen Ersparnissen in Paris ankam, der ich Plakate anklebte und Büroböden putzte, während meine Tochter in unserer chambre de bonne in der Rue des Eaux schlief, der ich rackerte und rackerte, bis ich Arbeit in einem Gymnasium fand, der ich eine Stelle an einer deutschen Universität ergatterte, der ich mit meiner Tochter in den Ferien nach Griechenland und in die Türkei fuhr, der ich mit meiner Tochter in den Ferien an den Nil fuhr, immer sie und ich, mit Freunden und Freundinnen, die uns näherkamen, aber nie ins geheime Herz unserer Zärtlichkeit vorzudringen vermochten, der ich Arbeit an einer holländischen Universität fand und ein Seminar über Felisberto Hernández gab, das mir Anerkennung und einen gewissen Ruhm eintrug, der ich für die Wochenzeitung Tant Pis! schrieb, die von französischen Anarchisten und lateinamerikanischen Linken herausgegeben wurde, und dabei feststellte, wie angenehm es war, in einem zivilisierten Land eine abweichende Meinung zu vertreten, der ich die ersten Zeichen des Alters (oder der Erschöpfung) an mir wahrnahm, die mein Körper seit Jahren in sich trug, die ich aber erst jetzt bemerkte, der ich nach Italien, ins Land meiner Großeltern, zog, um dort zu leben, zu arbeiten und herumzureisen, der ich über Rodolfo Wilcock schrieb, Marcel Schwobs geliebten Sohn, der ich an Konferenzen und Kolloquien überall in Europa teilnahm, das Flugzeug nutzte wie ein hoher Regierungsbeamter, in Fünf-Sterne-Hotels übernachtete und in Restaurants aß, die vom Guide Michelin empfohlen wurden, und alles nur, weil ich etwas über Literatur erzählte und über jene, die diese Literatur machten, der ich schließlich an der Universität von Barcelona landete, wo ich mich mit Leidenschaft und Anstand meiner Arbeit widmete, der ich zum gleichen Zeitpunkt meine Homosexualität entdeckte wie die Russen ihre kapitalistische Ader, der ich von Joan Padilla entdeckt wurde, wie man einen Kontinent entdeckt, der ich zur Raserei getrieben wurde und die Lust wiederentdeckte und dafür teuer bezahlte, der ich zum Gespött der Leute wurde, zum Schandfleck des
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