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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten
Autoren: Roberto Bolaño
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sagte Antoni Carrera ohne echte Überzeugung.
    »Aber was bedeutet das?«, fragte Amalfitano noch einmal.
    »Das bedeutet, dass an deiner Karriere im günstigsten Fall ein schwer zu tilgender Makel haftenbleiben wird. Im schlimmsten Fall landest du wegen Verführung Minderjähriger im Gefängnis.«
    Wer war denn minderjährig, gütiger Himmel?, dachte Amalfitano und erinnerte sich an das Gesicht des Dichters Pere Girau und an das eines anderen, der hin und wieder in Padillas Studio aufkreuzte, eines Volkswirtschaftsstudenten, mit dem er nie geschlafen hatte, den er aber in Padillas Armen gesehen hatte, eine erregende Erinnerung, der Junge gab sich Padilla mit einer Kraft hin, die er nie haben würde, unter Schluchzen und Stöhnen und schreiendem Flehen, er solle ihn nicht rausziehen, solle nicht aufhören, sich zu bewegen, als wäre der arme Kerl eine Frau, überlegte Amalfitano, und hätte multiple Orgasmen. Wie es mich ekelt, dachte er, obwohl es ihn in Wahrheit kein bisschen ekelte. Er erinnerte sich auch an andere Jungs, die er nie zuvor gesehen hatte, die aber behaupteten, seine Studenten zu sein, Padillas Partybande, Padillas Parasiten, die er bei den Prüfungen begünstigte (aber nicht sehr) und mit denen er sich dann auf Partys und frühmorgendlichen Wallfahrten traf, im James Dean, im Roxy, im Simplicissimus, im Gardel, im Encuentros Fortuitos, im Doña Rosita und im Atalante.
    »Wie konntest du so unvorsichtig sein?«, sagte Antoni Carrera.
    »Ich habe immer Kondome benutzt«, sagte Amalfitano in Gedanken an Padillas Körper.
    Die Carreras sahen ihn konsterniert an. Anna biss sich auf die Unterlippe. Amalfitano schloss die Augen. Er dachte nach. Dachte an Padilla und seine Kondome. Und plötzlich wurde ihm bewusst, dass diese Handlung in ein schreckliches Licht getaucht war. Padilla benutzte immer Kondome mit ihm. Und ich habe nicht darauf geachtet! Welches Entsetzen, welche Zartheit verbargen sich in dieser Geste?, dachte Amalfitano mit einem Knoten im Hals. Einen Moment lang fürchtete er, ohnmächtig zu werden. Die Musik, die aus Rosas Zimmer drang, hielt ihn davon ab.
    »Im Grunde hat sich der Rektor korrekt verhalten«, sagte Antoni Carrera.
    »Versetz dich an seine Stelle«, sagte Anna Carrera und dachte an die Kondome.
    »Tue ich«, erwiderte Amalfitano niedergeschlagen.
    »Also, wirst du tun, was wir dir raten? Wirst du vernünftig sein?«
    »Werde ich. Wie lautet der Plan?«
    Der Plan lautete, dass er sich, irgendeine Krankheit vorschützend, offiziell beurlauben lassen sollte. Burnout, zum Beispiel, sagte Antoni Carrera, egal was. Zwei Monate lang würde er sein volles Gehalt beziehen, danach müsste er kündigen. Selbstverständlich würde die Universität alle erforderlichen Empfehlungsschreiben ausstellen und einen Mantel des Schweigens über die ganze Angelegenheit breiten. Und selbstverständlich dürfte er sich unter keinen Umständen in der Fakultät blicken lassen. Nicht einmal, um meine Sachen abzuholen?, fragte Amalfitano. Deine Sachen befinden sich im Kofferraum unseres Wagens, sagten die Carreras und leerten ihre Gläser, beides im Duett.

5
     
    Wo ich ein so sanftes, phantasievolles und aufgewecktes Kind war, dachte Amalfitano, der Klügste meiner Oberstufe, verloren in irgendwelchen Schlammwüsten, und der Tüchtigste meiner Sekundarschule, verloren zwischen Dunst und Bergen, der ich als Jugendlicher der größte Feigling war und mich an den Nachmittagen der Schleuderkämpfe immer verdrückte, um zu lesen oder über den Landkarten meines Geographiebuchs zu träumen, der ich tanzen lernte, Rock ’n’ Roll und Twist, Bolero und Tango, nicht aber die Cueca, obwohl ich mich öfters mit gehisstem Taschentuch mitten auf die Tanzfläche stürzte, angefeuert nur von meiner Seele, denn Freunde hatte ich zu diesem patriotischen Zeitpunkt keine, eher Feinde, puristische, über meine fußstampfende Cueca, diese eigenmächtige, selbstmörderische Heterodoxie, entsetzte Bauern, ich, der ich meine Räusche unter einem Baum ausschlief und die schutzlosen Augen von Carmencita Martínez kennenlernte, der ich eines Nachmittags bei Gewitter in Las Ventanas badete, der ich den besten Kaffee in meiner mit anderen Studenten geteilten Wohnung in der Innenstadt von Santiago zubereitete und von meinen ebenfalls aus dem Süden stammenden Mitbewohnern gesagt bekam, wie gut dein Kaffee schmeckt, Oscar, wie gut er schmeckt, dein Käffchen, nur ein bisschen stark vielleicht, wenn wir ehrlich sein sollen, zu
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