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Die Nibelungen neu erzählt

Die Nibelungen neu erzählt

Titel: Die Nibelungen neu erzählt
Autoren: Michael Köhlmeier
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bei der Geschichte der Nibelungen interessiert uns ganz besonders, was in Kriemhild vorgeht.
    Sie ist ungeheuer betrogen worden, sie ist von ihrem väterlichen Freund Hagen hintergangen worden, ausgerechnet von ihm, dem sie ihr Leben und das Leben ihres lieben Mannes anvertraut hatte, dem sie sogar die Stelle an Siegfrieds Rücken wies, wo er verletzbar war. Sie hatte ihren Mann an Hagen ausgeliefert.
    Das Nibelungenlied selbst gewichtet die folgenden Geschehnisse anders, als ich es in meiner Nacherzählung tue. Ein Großteil des Liedes, vor allem des zweiten Teiles, besteht aus militärischen Dingen. Das heißt, wir erfahren im Detail, wie Kriemhild ihre Rache anlegte, welche Personen an ihrer Seite kämpften, welche gegen sie waren.
    Ich möchte das etwas kürzer halten. Denn diese militärischen Dinge, die ein Pingpongspiel von Kränkung und Revanche, ein Ballett von Beleidigtsein und Rache, von gekränkter Ehre und Kopfeinschlagen sind, faszinieren mich wenig. Außerdem kenne ich mich nicht so gut aus in militärischen Dingen, das ist nicht meine Sache. Ich bin auch der Meinung, wir heute können Motive, die ihre Kraft aus dem Begriff der Ehre gewinnen, nicht mehr recht nachvollziehen.
    In das stumme, taube Lied hineinzuhören und es zum Sprechen zu bringen, das ist unsere Ambition – auch wenn wir am Ende doch wieder nur unsere eigene Stimme hören sollten …

Der Baum des Hasses
     
    Als Kriemhild vom Tod ihres geliebten Siegfried erfuhr, da verfiel sie in Lethargie, sie verstummte. Sie verhielt sich, wie es niemand für möglich gehalten hatte. Ihre Schwiegereltern, Siegismund und Siegelinde, baten sie, nach Xanten zu kommen. Aber Kriemhild lehnte ab, sie blieb in Worms.
    Warum?
    Sie wollte unter den Mördern bleiben.
    Das verstehen wir nicht.
    Wenn wir nachdenken, können wir ihre Beweggründe aber vielleicht doch nachvollziehen. Sie ließ den Haß in sich reifen. Der Haß ist ein Gefühl, das schneller verlodert als alle anderen Gefühle, wenn man ihn unkontrolliert brennen läßt. Er verpufft in einer Stichflamme und verwundet den Hassenden oft schlimmer als den Gehaßten. Kriemhild wollte, daß ihr Haß vernichtete. Darum ließ sie ihrem Haß Zeit zu wachsen.
    In einem seiner bekanntesten Gedichte, »A Poison Tree«, beschreibt William Blake das Wachsen des Hasses:
     
    Ich war zornig auf den Freund:
    Ich sprach’s aus, mein Zorn gab Ruh’.
    Ich war zornig auf den Feind:
    Ich verschwieg’s, mein Zorn nahm zu.
     
    Und in Furcht begoß ich ihn
    Und mit Tränen Tag und Nacht,
    Und in Lächeln sonnt’ ich ihn
    Und in Listen falsch und sacht.
     
    Und er wuchs bei Tag und Nacht
    Und trug einen Apfel fein,
    Und mein Feind sah seine Pracht,
    Und er wußte, er war mein.
     
    Und er stahl sich zu ihm, kaum
    Daß gedunkelt war die Nacht:
    Tot sah ich ihn unterm Baum,
    Als ich morgens aufgewacht.
     
    An Siegfrieds Ermordung war auch Gunther beteiligt, das wußte Kriemhild. Gunther war zerrissen vom schlechten Gewissen. Kriemhild zog sich ganz zurück in ihren Turm, sie wollte mit niemandem sprechen, ließ niemanden zu sich.
    Und Gunther? Jeden Tag bat er sie, stand vor ihrer Tür, bat sie um Verzeihung. Weinte. Kniete nieder. Verfluchte sich. Eines Tages ließ sie ihn ein und vergab ihm.
    Warum tat sie das? Können wir auch das nachvollziehen?
    Sie wollte den Haß nicht teilen. Sie wollte den Haß auf einen Mann konzentrieren, auf einen einzigen Mann: nämlich auf Hagen von Tronje.
    Ihr Haß auf Hagen war für sie unteilbar, wie es ihre Liebe zu Siegfried gewesen war.
    Hagen kennt Kriemhild. Und er kennt das Gefühl des Hasses. Also macht er sich daran, Vorkehrungen zu treffen.
    Er sagt immer wieder zu Gunther: »Seid auf der Hut!
    Auch wenn sie Euch scheinbar verziehen hat, sie wird Euch vernichten!«
    »Ich glaube Euch nicht«, sagt Gunther. »Aber auch wenn Ihr recht haben solltet, daß sie mich immer noch haßt: Wie sollte sie die Rache führen? Sie lebt im Turm, ist von mir abhängig. Sie hat keine Macht.«
    »O nein!« sagte Hagen. »Sie ist ungeheuer reich, sie besitzt den Schatz der Nibelungen, sie hat ihn von ihrem Mann geerbt. Sie kann sich jedes Heer auf der Welt mit diesem Gold kaufen!«
    Wieder gelingt es Hagen, Gunther auf seine Seite zu ziehen. Gunther verrät Hagen, wo der Schatz der Nibelungen liegt. Hagen stellt eine Mannschaft zusammen, und er zieht in jenen Märchenwald, in dem Siegfried einst den Drachen besiegt, die Könige Schilbung und Nibelung getötet und den Zwerg Alberich
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