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Die Nibelungen neu erzählt

Die Nibelungen neu erzählt

Titel: Die Nibelungen neu erzählt
Autoren: Michael Köhlmeier
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kleiner heller Fleck. Was ist das?«
    Er sagte: »Ein heller Fleck auf meinem Rücken? Das weiß ich nicht.«
    »Doch, doch«, sagte sie, »hier!«
    Und sie hatte immer noch den Dolch in der Hand, strich mit der Spitze so darüber, und wo dieser helle Fleck war, da ließ sich die Haut ritzen, da blutete es nun.
    Sie sagte: »Hier ist eine Stelle, wo du verwundbar bist, wo das Drachenfett dich nicht berührt hat. Es hat die Form eines Lindenblattes, genau zwischen deinen Schulterblättern.«
    Er aber lachte nur und sagte: »Auf diese Stelle mußt du dann besonders gut achtgeben. Was kann so eine kleine Stelle schon bedeuten im Vergleich zur Unverwundbar keit des ganzen Körpers!«
    Und Kriemhild küßte ihren lieben Mann zwischen die Schulterblätter.
    Eine zärtliche Hochzeitsnacht …
    Ganz anders verlief die Hochzeitsnacht bei Brünhild und Gunther.
    Brünhild fühlte sich gedemütigt, daß dieser Gunther, den sie so schwach eingeschätzt, sie am Ende doch besiegt hatte. Spätestens bei der letzten Disziplin, beim Weitsprung, ihrer Spezialdisziplin, waren ihr massive Zweifel gekommen. Und auf der Schiffsreise von Island hatte sie sich vorgenommen, die Kraft ihres zukünftigen Mannes doch noch einmal auf die Probe zu stellen.
    Als nun Gunther in der Hochzeitsnacht zu ihr in die Kammer kam und sie umarmen wollte, da sagte sie zu ihm: »O ja, du bist ein starker Mann, du hast mich besiegt.«
    »Das habe ich«, sagte Gunther.
    »Ich liebe den Kampf«, sagte sie.
    »Alles zu seiner Zeit«, sagte Gunther.
    »Ah!« rief sie, »für einen guten Kampf ist immer Zeit!«
    Sie zog sich den Gürtel vom Leib und sagte: »Zeig mir deine Arme, deine Muskeln.«
    Er zeigte ihr seine Arme, zeigte ihr seine Muskeln. Da schlang sie den Gürtel um seine Gelenke und band zu und fesselte ihn. Und mit einer schnellen Bewegung hob sie ihn hoch und hängte ihn an einen Haken an der Decke.
    »Wenn du mich in meinen drei Disziplinen besiegt hast«, sagte sie, »dann wird es dir doch ein leichtes sein, dich von diesem Haken zu befreien.«
    Aber das konnte er nicht!
    Die ganze Nacht – seine Hochzeitsnacht! – hing Gunther am Haken von der Decke, gefesselt mit dem Gürtel der Brünhild. Eine ungeheure Demütigung!
    Diese Demütigung wurde um so größer, als ihm am nächsten Tag, Brünhild hatte ihn wieder abgeknüpft, nichts anderes übrigblieb – jedenfalls glaubte er, es bleibe ihm nichts anderes übrig –, als Siegfried in diese Schmach einzuweihen.
    Er nahm ihn beiseite und sagte: »Es war furchtbar.«
    Und er erzählte ihm, daß sie ihn gefesselt hatte.
    »Sie wird mich demütigen, sie wird mich mein ganzes Leben lang nicht respektieren. Sie wird dahinterkommen, wie der Kampf in Island tatsächlich abgelaufen ist. Sie wird mich töten!« jammerte er Siegfried vor.
    Siegfried überlegte und sagte schließlich: »Na gut, ich werde dir noch einmal helfen. Ich wollte es eigentlich nicht, weil du mich in Island wie einen Untertan behandelt hast, so als wäre ich tatsächlich dein Lehnsmann und du mein Lehnsherr. Aber weil du der Bruder meiner lieben Frau bist, will ich dir noch einmal helfen. Wir werden Brünhild noch einmal gemeinsam besiegen. Vertrau mir, vertrau mir!«
    In der folgenden Nacht ging er von Kriemhild, sagte auch zu ihr: »Hab Vertrauen zu mir. Warte hier, ich werde gleich zurückkommen.«
    Er setzte sich die Tarnkappe auf und schlich hinüber in das Gemach der Brünhild. Dort wartete er neben Brünhild, saß neben ihr im Bett, still, sie konnte ihn ja nicht sehen, wartete, bis Gunther das Gemach betrat.
    Und als sich Gunther über Brünhild beugen wollte, da hielt Siegfried die Frau mit all seiner Kraft fest. Er half dem Gunther, Brünhild zu vergewaltigen. Es gibt kein anderes Wort dafür.
    Nun war Siegfried nicht mehr der Naive, und er dachte bei sich: »Na ja, wer weiß, wozu ich dieses Geheimnis noch einmal brauchen kann. Wenn ich mir jetzt ein Erinnerungsstück an diese Nacht mitnehme, kann es nicht schaden.«
    Er nahm den Gürtel der Brünhild an sich und zog ihr obendrein den Ring von ihrem Finger. Auch dem Gunther verriet er nicht, daß er diese zwei Dinge genommen hatte. – Ja, mit der treuherzigen Naivität des Siegfried war es zu Ende.
    Aber seiner Frau Kriemhild erzählte er alles, und er ließ sie schwören, daß sie nie darüber ein Wort verliere. Und dann erzählte er ihr auch, wie Gunther in Island die Kämpfe gewonnen hatte.
    Brünhild, die märchenhafte Königin, war besiegt, gebändigt.
     
    Nun war es
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