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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Autoren: Erich Follath
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    Natürlich ist die Verbreitung neuer sozialer Medien in China, Indien und Brasilien ein gewaltiger Sprung nach vorn. Kaum irgendwo sonst ist die Zahl neuer Handys so explosionsartig gestiegen wie in diesen drei Ländern. »Frauen interessieren sich mehr für Mobiltelefone als für Toiletten und Zugang zu sauberem Wasser«, konstatierte im Februar 2012 Jairam Ramesh, der indische Minister für ländliche Entwicklung. Natürlich bedeute der Zugang zu solchen Kommunikationsmitteln auch in seinen Augen »Progress«, aber es sei nun einmal eine Tatsache, dass es mehr Handy-Besitzerinnen gebe als Inderinnen mit Möglichkeiten, auf ein Klo mit Wasserspülung zu gehen. Ramesh erntete für seine Äußerung wütende Proteste, sie sei frauenfeindlich und unangemessen formuliert. Nur die Tatsache – mehr Handys als Toiletten – mochte keiner bestreiten.
    China, Indien, Brasilien: In diesen Staaten leben zusammengenommen 2,7 Milliarden Menschen, etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung, weit mehr als fünfmal so viele wie in ganz Europa. Verglichen mit den Zukunftsmächten ist Deutschland nicht nur, was die Bevölkerung betrifft, sondern auch in Sachen Landmasse ein Zwerg: Neun Deutschlands passten nach Indien, 23 nach Brasilien, 27 nach China. Aber das allein erklärt nicht die Faszination, die hierzulande gerade für diese Länder herrscht. Sie hat wenig mit Im- und Export, mit Investitions-Chancen und Job-Angst, sondern viel mit Emotionalität und historischen Bindungen zu tun. Brasilien, Indien und China sind allesamt Traumziele der Deutschen, und sie zählten dazu schon zu Zeiten unserer Väter, Großväter und Urgroßväter.
    Eine Habsburgerin war sogar einmal Kaiserin von Brasilien: Die Erzherzogin Maria Leopoldine, Tochter von Kaiser Franz I. und Maria Theresa, herrschte von 1822 bis 1826 über das Reich am Amazonas. Sie war weitaus beliebter als ihr häufig betrunkener und herumhurender Mann, der portugiesische Kronprinz Dom Pedro. »Was für ein herrlicher Himmelsstrich, welch gesegnetes Land mit gutmütigen Bewohnern«, schwärmte sie in Briefen an die Wiener Verwandtschaft. Sie hat sich nach Ansicht von Historikern mehr als andere Kolonialherrscher vor ihr und nach ihr für Brasilien eingesetzt, hatte einen guten Überblick über die Probleme und Chancen, die das Land bot. Zwar gab es auch schon vor ihrer Zeit deutsche Einwanderer – als einer der ersten der Astronom Johannes Varnhagen (»Meister Johann«) im 16. Jahrhundert. Aber erst »Poldl«, wie sie von ihren Untertanen liebevoll genannt wurde, ermutigte Europäer ausdrücklich zur Einwanderung. Ganze Landstriche im Süden haben heute noch deutschen Charakter, Namen wie Blumenau, Frankenthal oder Santa Leopoldina, benannt nach der mit 29 Jahren an einer Fehlgeburt verstorbenen Kaiserin, verraten die Nähe. São Paulo ist die letzte Ruhestätte der Habsburgerin, sie erhielt auf Wunsch der Brasilianer ein eigenes Mausoleum. Fast jeder Zehnte in Südamerikas größtem Staat hat heute nach Schätzungen von Historikern deutsche Wurzeln.
    In der Nazizeit wurde Brasilien dann für manche Verfolgte zur Zufluchtstätte, der jüdische Schriftsteller Stefan Zweig war unter ihnen; er bedankte sich bei seinem Gastland mit einem prophetischen Buch: Brasilien. Ein Land der Zukunft , 1941 in Stockholm erschienen. Nach dem Zweiten Weltkrieg versteckten sich allerdings auch Nazigrößen hier. Der KZ -Arzt Josef Mengele lebte nach seiner Zeit in Argentinien und Paraguay von 1960 bis zu seinem Tod im Jahr 1979 in der zum Bundesstaat São Paulo gehörenden Kleinstadt Betrioga, wohl von hohen Herren gedeckt – ein düsteres Kapitel, bis heute von beiden Seiten nicht vollständig aufgearbeitet. Aber längst steht Brasilien nicht mehr für Verrat und Vertuschung, die Diktatur hat abgedankt: Fußball und Karneval, Samba und Strände sind Anziehungspunkte für einen wachsenden Strom von deutschen Touristen.
    Indien ist für deutsche Geistesgrößen von Goethe bis Grass mehr als nur ein Thema ihres Schaffens, es ist ein Mythos. Schon Ende des 18. Jahrhunderts glaubten viele prominente Dichter und Denker wie Arthur Schopenhauer und Friedrich Schlegel, am Ganges »den wahren Geist« und die »neue Quelle der Poesie« entdeckt zu haben, Georg Wilhelm Friedrich Hegel nannte Indien das »Land der Sehnsucht« – keiner der Schwärmer kannte die Region damals aus eigener Anschauung. Erst mit Hermann Hesse, der 1911 zu einer Indien-Reise aufbrach und elf Jahre
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