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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Autoren: Erich Follath
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später seinen Roman Siddharta veröffentlichte, gelangte ein prominenter deutscher Autor wirklich vor Ort. Die romantische Indien-Begeisterung ließ dann auch deutsche Philosophen wie Hermann Graf Keyserling Anfang des 20. Jahrhundert auf den Subkontinent ziehen, in Deutschland bereiteten die Menschen dem indischen Dichter Rabindranath Tagore einen begeisterten Empfang. Selten, so schien es, fühlten zwei Völker so viel geistige Verwandtschaft.
    Dazu kam eine politische Nähe – was Subhash Chandra Bose betraf, den Gegenspieler des Mahatma Gandhi, sogar eine Nähe zu den Nazis. Der Freiheitskämpfer aus Bengalen gehört bis heute zu den umstrittensten Persönlichkeiten des Subkontinents. Seine Verdienste um die Unabhängigkeit, die er, anders als der Mahatma (»Große Seele«), auch mit Waffengewalt erreichen wollte, sind weitgehend unbestritten, seine Wege dazu aber sind es um so mehr. Bose traf in Deutschland Ribbentrop und Hitler, er unterstellte seinen Kampfverband Indische Legion der deutschen Waffen-SS und gründete später die National Army, die im Zweiten Weltkrieg an der Seite der Japaner kämpfte, nachdem ihn die Deutschen im U-Boot über Madagaskar in den Fernen Osten geschleust hatten. Ebenso geheimnisvoll wie sein Leben war auch sein Tod. Bose soll bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen sein. Doch Wrackteile wurden nie gefunden und manche Historiker glauben, er habe in sowjetischer Kriegsgefangenschaft überlebt und sich später in Sibirien niedergelassen. Für die deutsch-indische Politik der Nachkriegszeit aber stehen eher das Lavieren des Sozialisten Jawaharlal Nehru zwischen Bundesrepublik und DDR sowie das heutige gute Verhältnis zwischen Angela Merkel und Manmohan Singh. Die Kanzlerin hat in Hintergrundgesprächen mehrfach erzählt, dass sie den indischen Premier wegen dessen Klugheit und Weitblick höher achte als jeden anderen Staatsmann. Ein außergewöhnliches Urteil, bedenkt man, wie ausgebrannt Singh in diesen Tagen wirkt.
    In Sachen Sympathie stehen die Völker ihren politischen Führern jedenfalls auch heute nicht nach: Deutschland belegt regelmäßig Spitzenplätze unter den Ländern, die von Indern gemocht werden; Yoga, Ayurveda und Sitar-Klänge haben hierzulande weit über Hippie-Zeiten hinaus ihre Faszination behalten, von allseits begehrten Reisezielen wie dem Taj Mahal, den Palästen von Rajasthan und den Hausbooten Keralas ganz abgesehen. Und immer noch haben seltsame Gurus wie der Bhagwan Shree Rajneesh, später »Osho« genannt, bei deutschen Sinnsuchenden Hochkonjunktur. Ich interviewte ihn, im Ashram von Poona und später im Exil. Ein seltsamer Heiliger, der nicht Askese predigte, sondern Dutzende Rolls Royces besitzen wollte und sie als »Gastgeschenke« seiner oft schwerreichen Klientel gerne annahm.
    »Wenn China erwacht, erzittert die Welt«, soll Napoleon Bonaparte einmal gesagt haben, ein vom Inhalt wie von der Herkunft her umstrittenes Zitat. Wenn er es nicht so formulierte, war es wahrscheinlich ein Politiker oder Philosoph von diesseits des Rheins. Denn in ihrer Mischung aus Respekt und Bewunderung standen die Deutschen dem französischen Kaiser nie nach, im Gegenteil, sie waren ihm voraus. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts herrschte unter den großen deutschen Denkern geradezu eine China-Euphorie. Gottfried Wilhelm Leibniz, Universalgelehrter und Moralphilosoph, steht beispielhaft für diese Bewegung. Er traf in Rom mit Jesuitenpatres zusammen, die Reiseeindrücke aus erster Hand besaßen. Nicht die Seidenstraße, der Handel mit Gewürzen über Wüsten und Pässe gegen Edelmetalle aus Europa sollte seiner Meinung nach die Beziehungen prägen, sondern der Austausch von Kultur und Wissen. Allein China, die älteste ununterbrochen blühende Kulturnation, schien Leibniz dafür relevant. Und liest man, wie zentral der deutsche Gelehrte die »Harmonie« ins Zentrum seines Denkens gestellt hat, lässt sich die gegenseitige Beeinflussung erahnen – »Harmonie« ist heute, neben dem »chinesischen Traum«, der Lieblingsbegriff der regierenden KP .
    In den ersten Tagen des 20. Jahrhunderts nahmen die Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und dem Reich der Mitte erheblich unfreundlichere Formen an. Nach Übergriffen auf deutsche Diplomaten und Missionare hielt Kaiser Wilhelm II. seine berühmt-berüchtigte »Hunnenrede«, in der er mit kaum verhohlenen rassistischen Untertönen seine Truppen zur blutigen Rache anstachelte: »Pardon wird nicht gegeben,
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