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Die netten Nachbarn

Die netten Nachbarn

Titel: Die netten Nachbarn
Autoren: Ephraim Kishon
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in den letzten vierzig Jahren.
    Schön, sagte ich mir, wenn ich schon keine Freunde gewinnen kann, will ich wenigstens Bekannte gewinnen, ein paar belanglose Gesprächspartner für ein nichtssagendes Geplauder.
    »Ich darf mich wirklich nicht beklagen«, beginne ich den unverbindlichen Gedankenaustausch. »Gestern habe ich mein Opernlibretto fertiggestellt und nächste Woche fliege ich mit meiner Familie nach Tahiti.«
    »Übertreiben Sie’s nicht«, antworten die Belanglosen eisig. »Auch Sie werden nicht jünger.«
    Damit entschwinden sie und weichen mir von Stund an in weitem Bogen aus. Kein Mensch will etwas von mir wissen. Ich bin einsam und verlassen wie Israel in der Vollversammlung der UNO. Manchmal habe ich mich schon selber gefragt: »Ephraim, altes Haus, wie geht’s dir?« – nur um mir vorzuspiegeln, dass sich jemand für mich interessiert. So lagen die Dinge, bevor ich mir die große Zehe einklemmte.
    Ich war vom Supermarkt nach Hause gekommen, hatte beide Arme voll mit Flaschen und Konservenbüchsen, konnte die Haustür nicht öffnen und versetzte ihr einen Tritt. Sie gab mir den Tritt sofort zurück und verwandelte meine große Zehe in eine bläuliche, breiige Masse.
    In diesem Augenblick erschien mein Nachbar Felix Selig, der seit zwei Jahren kein Wort mit mir gesprochen hatte.
    »Was ist passiert, um Himmels willen?«, fragte er teilnahmsvoll.
    Ich deutete mit schmerzverzerrtem Gesicht auf meinen Fuß.
    Felix schleppte mich in meine Wohnung, bettete mich auf die Couch, mixte mir einen Drink und blieb, bis meine Frau nach Hause kam.
    Das gab mir zu denken.
    Als ich eine Woche später wieder gehen konnte, traf ich auf dem Postamt Frau Blum, die sich sofort nach meiner Zehe erkundigte.
    Ich machte eine wegwerfende Gebärde.
    »Ach was, die Zehe … Viel schlimmer ist dieses schreckliche Stechen in der Hüfte.«
    Frau Blum begleitete mich nach Hause.
    »Sie müssen einen Arzt konsultieren«, empfahl sie mir unter allen Anzeichen größter Besorgnis. »Wahrscheinlich haben Sie einen Nierenstein. Ts, ts, ts. Sehr unangenehm, was Ihnen bevorsteht. Sehr, sehr unangenehm.«
    Und sie rief täglich an, um zu erfahren, wann ich operiert würde.
    Allmählich begannen auch andere Menschen mir wieder Aufmerksamkeit zuzuwenden. Ich wartete ihre Fragen nach meinem Befinden erst gar nicht ab. »Es ist die Hölle«, erzählte ich ungefragt. »Dieser Stein bringt mich um den Verstand. Ich kann keine Zeile mehr schreiben. Morgen muss ich zum Röntgen.«
    Ich gewann immer mehr neue Freunde. Aus purer Neugier sah ich in den einschlägigen psychologischen Lexika nach – nirgends fand ich einen Nierenstein erwähnt. Nichts als Stümper.
    Um die Besonderheit meines Steines zu unterstreichen, gab ich ihm den Kosenamen Albert. Damit es »Ein Stein« bliebe.
    Um meine neugewonnenen Freunde nicht zu enttäuschen und weitere anzulocken, schmückte ich meine Leidensgeschichte mit zusätzlichen medizinischen Katastrophen aus. Besonderen Anklang fand die Mitteilung, dass ich wegen der Nierenstein-Operation meinen neuen Film nicht drehen könnte.
    Die beste Ehefrau von allen weigerte sich schließlich, für die täglich zahlreicher erscheinenden Freunde Kaffee zu kochen.
    Mein Glaube an die Menschheit kehrte zurück. In den wenigen Stunden des Alleinseins begann ich eine gesellschaftskritische Abhandlung zu schreiben: »Wie erkranke ich erfolgreich?«, und ich untermauerte meinen Erfolg durch die rastlose Erfindung von Schicksalsschlägen.
    Ich litt an Schmerzen im Rücken und im Becken, an Kreislaufstörungen und Steuerschulden, mein linkes Trommelfell hatte sich entzündet, ich stand vor dem Ruin, und als mir gar nichts mehr einfiel, setzte ich das Gerücht in Umlauf, dass meine Frau wegen Albert mit dem Basketballspieler Micky Berkowitz durchgegangen sei. Ich war beliebt wie nie zuvor.
    Eine der Erfahrungen, die ich in dieser Zeit machen durfte, nenne ich »das Sandwich-Syndrom«: Man kann zwischen zwei Krankheiten eine dünne Schicht von Glück einlegen.
    Das fiel mir auf, als ich zwischen einer Blinddarmoperation und einer vernachlässigten Scheinschwangerschaft mit einem Literaturpreis ausgezeichnet wurde, ohne dass man mich deshalb in Acht und Bann getan hätte.
    Es war zu schön, um dauerhaft zu sein.
    Eines Tages – die Schreibmaschine zittert unter meinen Fingern, während ich es zu Papier bringe – verspürte ich einen stechenden Schmerz im Unterleib. Der Doktor kam und diagnostizierte einen Nierenstein. Ich wandte
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