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Die Naschkatzen

Die Naschkatzen

Titel: Die Naschkatzen
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vorstellen, wie alt Phineas T. sein muss, wenn dieses Schild derart verrostet ist?«, wollte Amy wissen. »Älter als Gott. Hat seit der Zweihundertjahrfeier keinen Sex mehr gehabt. Meinst du, die Kirche von Temptation ist so etwas wie ein Baseball-Tempel?«
    »Nicht, wenn sie lutherisch ist«, erwiderte Sophie.
    In diesem Augenblick waren sie auf dem Gipfel des Hügels angekommen, und vor ihnen lag Temptation.
    »Pleasantville« , sagte Amy und nahm ihre Sonnenbrille ab.
    »Amityville«, meinte Sophie.
    Die Stadt selbst lag auf der anderen Seite eines schlammigen Flusses, der träge unter einer Brücke aus rötlichem Metall zu Füßen des Hügels dahinfloss. Jenseits der Brücke erstreckte sich eine fruchtbare, grüne Landschaft mit hübschen kleinen Ziegelfachwerkhäusern, die mit dem Ansteigen der Hügel immer größer wurden - ziemlich groß sogar. Sophie kannte die Art von Leuten, die in solchen Häusern wohnten. Nicht ihr Schlag. »Es ist ruhig«, sagte sie zu Amy, während sie den Hügel hinunterfuhren. »Zu ruhig.« Amy jedoch gaffte verblüfft auf einen Punkt in der Ferne.
    »Oh, mein Gott!« Sie lenkte den Wagen an den Straßenrand. »Sieh dir bloß diesen Wasserturm an!« Einen Augenblick lang blieb sie verzückt kerzengerade sitzen, bevor sie sich in den Sitz zurückfallen ließ.
    »Was?« Sophie beugte sich vor, um besser zu sehen.
    Der fleischfarbene Turm in Form einer wuchtigen Rakete stand, umringt von Bäumen, auf eine derart aggressiv phallische Weise auf dem höchsten Punkt des Hügels, dass Sophie komplett vergaß, nervös an ihren Ringen zu nesteln, während sie ihn anstarrte. »Aber hallo. Glaubst du, sie haben das absichtlich gemacht? Ich meine, dieser Anstrich kann doch kein Versehen sein, oder?«
    »Vielleicht eine Art Ersatz für Phineas T. Ist mir aber auch egal. Ich liebe diesen Ort.«
    Amy reichte Sophie ihre Sonnenbrille, strich mit einer hastigen Bewegung ihr eng anliegendes, orangefarbenes Top glatt und holte ihre Kamera zwischen den Sitzen hervor. »Mein Gott, die Gelegenheit kann ich mir nicht entgehen lassen. Lass uns die Plätze tauschen.«
    »Wieso?«, fragte Sophie, kletterte jedoch über den Schalthebel auf den Fahrersitz, während Amy aus dem Wagen stieg. »Okay, der Wasserturm ist ansehnlich, aber ›Ich wette, dass das chinesische Essen hier furchtbar schmeckt‹.« Als Amy ihr einen vorwurfsvollen Blick zuwarf, fügte sie hinzu: »Ich jammere nicht, das ist ein Zitat. Mein Cousin Winnie.« Mit zusammengekniffenen Augen spähte Sophie die Straße entlang. »Ich gehe jede Wette ein, dass sie nicht mal einen anständigen Pool-Tisch haben. Ist hier wahrscheinlich verpönt. Wohin fahren wir jetzt?«
    »Zurück zum Ortseingang.« Amy stieg auf der Beifahrerseite ein. »Ich muss das alles einfangen. Die Kirche von Temptation, Phineas T. Tucker und diesen Mordsständer von Wasserturm. Was für ein Eröffnungsszenario!«
    »Dürfen wir ohne Genehmigung in der Öffentlichkeit filmen?« Sophie setzte Amys Sonnenbrille auf und verschwendete nur einen kurzen Gedanken daran, wie strassbesetzte Plastik in Pink wohl mit ihrer schlichten weißen Bluse und ihren Kaki-Shorts harmonierte. Sie blickte zweimal prüfend auf die Straße, bevor sie auf die Fahrbahn fuhr und wendete. »Mit dem Übertreten von Gesetzen ist es nämlich vorbei.«
    »Das wird doch sowieso niemand erfahren«, meinte Amy und hörte sich viel zu sehr wie ihr Vater an. Sie stützte die Kamera am Fenster ab und fügte hinzu: »Ich werde in diese Richtung filmen, und du behältst den Rückspiegel im Auge, falls jemand hinter uns auftaucht. Fahr bitte Schritttempo. Ich möchte das alles festhalten.«
    Sophie fuhr zu dem Punkt zurück, wo die Schilder standen , und wendete erneut, wobei sie den Rückspiegel nicht aus dem Auge ließ. Ein Auffahrunfall mit einem wild gewordenen Bürger von Temptation fehlte ihnen gerade noch...
    Doch just in dem Moment, als sie den Gipfel des Hügels erreichten, kam der beige Caddy aus einer Seitenstraße, die Sophie nicht einmal gesehen hatte, herausgeschossen und krachte in ihren vorderen Kotflügel.
    Sophie trat auf die Bremse, als sie den Aufprall spürte, und das Geräusch knirschenden Metalls bohrte sich im gleichen Moment in ihre Ohren, in dem Amys Sonnenbrille von ihrer Nase flog und gegen das Armaturenbrett knallte. Sie biss sich auf die Lippe und schmeckte Blut, schnappte kurz nach Luft, als sich der Gurt in ihren Magen schnürte, und dann war alles vorbei. Sie standen auf der falschen
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